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Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer

Titel: Fuerchte nicht das tiefe blaue Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: April Genevieve Tucholke
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    ROSE REDDING
    Geliebte Tochter, geliebte Schwester
    Ermordet an ihrem 16. Geburtstag, am 8. Juni 1929
    Ich zog die rote Karte und die fünf Briefe hervor, die ich eingesteckt hatte, und reichte sie River zusammen mit der Taschenlampe. Nachdem er alle gelesen hatte, gab er sie schweigend an Neely weiter.
    »Hast du es gewusst?«, fragte ich River in die immer noch anhaltende Stille hinein. »Hat dein Großvater dir von Freddie erzählt? Ist das der Grund, warum du nach Echo gekommen bist? Wusstest du, dass er dieselbe Gabe besaß wie du?«
    River hielt meinen Blick fest, ohne zu antworten. Dann lehnte er sich an die efeubewachsene Mauer der Gruft und nickte.
    »Mein Großvater, William Redding, nannte es das Brennen . Ein paar Jahre vor seinem Tod erzählte er mir davon. Ich erfuhr, dass die Gabe in der Familie liegt. Mein Vater hat sie nicht geerbt, aber ich. Außerdem erfuhr ich von einer Frau namens Freddie, der einzigen Frau, die er je geliebt hat, und von der Stadt Echo, in der er die Gewalt über seine Gabe verlor und sich am Tod seiner Schwester schuldig machte. Er versuchte mich zu warnen, bevor er starb. Doch es war zu spät. Damals hatte Dad mich längst für seine Zwecke eingespannt. Ich war schon viel zu weit gegangen und süchtig nach dem Funkeln geworden. Aber dann kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht, wenn ich selbst nach Echo kommen würde … ich weiß auch nicht. Ich dachte, dass mir das helfen würde.«
    »Aber das hat es nicht«, sagte Neely und sprach damit aus, was ich dachte.
    River sah mich flehend an. »Als ich nach Echo kam und erfuhr, dass Freddie eine Enkeltochter hatte, die genau wie sie aussieht und einen Mieter für das Gästehaus sucht, konnte ich mein Glück kaum fassen. Ich dachte, es wäre ein Wink des Schicksals. Ich dachte … Ich dachte, du könntest mich retten, Vi.«
    »Genau das versuche ich doch«, sagte ich.
    »Ich weiß .« River streckte die Hand nach mir aus, zögerte und ließ sie dann wieder sinken. »Aber darum geht es nicht, Vi. Es geht auch nicht um Freddie oder meinen Großvater oder um das Funkeln. Es geht darum, wie du auf der Treppe von Citizen Kane saßt und in der Sonne Kurzgeschichten gelesen hast. Und dass du dich auf Zehenspitzen stellst, um Espresso zu trinken. Es geht darum, dass du schüchtern und gleichzeitig schonungslos direkt bist, dass du einfühlsam, exzentrisch und ein bisschen überheblich bist. Um nichts anderes.« River schwieg einen Moment lang, ohne den Blick von mir zu nehmen. »Es hat nie ein anderes Mädchen vor dir gegeben, Vi. Kein einziges. Vi, sieh mich an. Glaubst du mir das? Glaubst du, was ich dir sage?«
    Er sprach hastig, als wäre er verlegen.
    »Nein, ich glaube dir nicht. Du bist ein Lügner.« Aber es klang längst nicht so scharf, wie ich es gewollt hatte.
    Neely lachte. »Sie hat dich durchschaut, River. Ich hab dir ja gesagt, dass diese ständigen Lügen Folgen ha…«
    Ein Schrei hallte über den Friedhof. Es war ganz eindeutig der Schrei eines Kindes und er kam aus der Richtung der Gruft der Glenships.
    Wir warfen uns einen kurzen Blick zu und rannten los. Als wir uns der alten Gruft näherten, sah ich zwei Kinder. Einen schlanken dunkelhaarigen Jungen und einen kleineren, der neben einem Grabstein auf dem Boden kauerte und sich schützend die Arme vors Gesicht hielt, während der ältere brutal auf ihn einschlug. Seine schmerzerfüllten Laute klangen so schwach und kläglich, dass es mir das Herz zerriss.
    » Nicht, River! Lass mich das erledigen. Fass ihn nicht an «, rief Neely, aber da war es schon zu spät. River rannte auf den älteren Jungen zu und stieß ihn so heftig gegen die Gruft, dass er zusammensackte. Dann zog er ihn am Kragen seines T-Shirts wieder auf die Beine, fasste ihn um die Kehle und drückte ihn mit aller Kraft gegen die efeubewachsene Mauer.
    Der Hinterkopf des Jungen knallte gegen den Stein.
    »River! Hör auf«, brüllte ich, weil ich den Jungen wiedererkannte. Es war derselbe, der während der Vorführung von Casablanca Jack und seine Freunde geärgert hatte. »Das ist doch noch ein Kind. Hör auf! «
    River beachtete mich nicht.
    »Findest du es okay, jemanden zu verprügeln, der gerade mal halb so groß ist wie du?«, fuhr River den Jungen an. »Antworte mir! Findest du das okay ?«
    Der Dunkelhaarige wand sich unter Rivers Klammergriff und zeigte auf den am Boden liegenden kleineren Jungen. »Ich wollte hier bloß in Ruhe eine rauchen, als dieser Hosenscheißer da

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