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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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der zu weit weg war, um sie sehen zu können.
    Plötzlich huschte Pastor Chambliss direkt vor meinen Augen vorbei und verschwand wieder, und so, wie er sich bewegte, sah es aus, als würde er da vorne in der Kirche tanzen oder springen oder hüpfen. Eine Sekunde später huschte er wieder vorbei, und dann kam er zurück und blieb direkt vor mir stehen. Ich konnte ihn gut sehen. Er stand mit dem Rücken zu mir, und Joe Bill und ich starrten auf die vielen Leute, die sich da mit geschlossenen Augen hin und her wiegten und die Hände hoch über dem Kopf schwenkten und die Fäuste ballten und öffneten, als versuchten sie etwas oben aus dem Himmel zu greifen.
    Pastor Chambliss hatte sein Haar so kurz geschoren, dass die kleine kahle Stelle am Hinterkopf kaum zu sehen war, und sie wäre mir wahrscheinlich gar nicht aufgefallen, wenn er nicht geschwitzt hätte und das Licht nicht darauf gefallen wäre. Ich fand, er sah aus wie einer, der in der Army gewesen war, obwohl er jetzt wahrscheinlich zu alt war, um noch Soldat zu sein. Sein blaues Oberhemd war hinten dunkel vom Schweiß, und sein linker Hemdsärmel war bis über den Ellbogen hochgekrempelt, aber den rechten hatte er am Handgelenk zugeknöpft, und ich wusste auch, warum – seine rechte Hand war ein furchtbarer Anblick: hellrosa und ganz verschrumpelt. Aber auch wenn er den rechten Ärmel unten und zugeknöpft ließ, konnte er die Hand nicht verstecken. Jeder in der Kirche hatte sie gesehen, und wahrscheinlich hatten sich die meisten so daran gewöhnt, dass sie gar nicht mehr darüber nachdachten. Aber ich hatte das ganze Wochenende über diese Hand nachgedacht, weil ich sie zwei Tage zuvor am helllichten Tag gesehen hatte, und auch den ganzen Arm, zu dem sie gehörte, und ich hatte diese rosa Haut gesehen, die bis zu seiner Schulter hochging und seine Brust bedeckte, so wie Kaugummi, wenn du eine Blase damit machst, die dann platzt und dir an den Wangen kleben bleibt.

    Am Freitagnachmittag, nachdem der Schulbus mich oben an der Straße abgesetzt hatte, sah ich Mama und Stump auf den Verandastufen sitzen, als würden sie auf mich warten. Sie hatten jeder eine kleine Holzkiste in der Hand, die aussahen wie Käfige mit Griffen oben dran, und noch ehe ich nahe genug war, um verstehen zu können, was Mama zu Stump sagte, hörte ich den Griff quietschen, weil Mama ihre Kiste vor sich hin und her schwang. Sie blickte auf und lächelte, als sie mich sah.
    »Da bist du ja«, sagte sie. »Wie war’s in der Schule?«
    »Was macht ihr hier draußen?«, fragte ich.
    »Auf dich warten«, sagte sie.
    »Wieso?«
    »Weil ich dachte, ihr hättet vielleicht Lust, ein paar Salamander für euer Zimmer zu fangen.« Ich warf meine Büchertasche vor ihren Füßen auf die unterste Stufe und sah mir die Holzkiste an, die sie vor sich hielt. Sie hob sie hoch, und ich fasste sie am Griff.
    »Im Ernst?«, fragte ich.
    »Na ja«, sagte sie, »ihr wolltet welche haben, und ich hab mir gedacht, warum eigentlich nicht, wenn ihr sie richtig versorgen könnt. Wir müssen irgendwas finden, wo wir sie reintun können, aber ich denke, das hier genügt fürs Erste. Ich nehm deine Bücher mit rein, und ihr zwei könnt runter zum Bach laufen, wenn du mir versprichst, dass du dir Hemd und Hose nicht schmutzig machst.«
    »Versprochen«, sagte ich. Ich musterte die Kiste in meinen Händen. »Wo hast du die her?«
    »Von einem Bekannten«, sagte sie. »Er leiht sie mir, damit ihr sie benutzen könnt. Aber behalten dürfen wir sie nicht, okay?«
    »Okay«, sagte ich.
    Sie nahm meine Büchertasche, stand auf und war schon auf dem Weg ins Haus, aber dann drehte sie sich noch mal um und sah mich und Stump an. »Versucht, fünf Stück zu fangen«, sagte sie. »Ich denke, das ist mehr als genug. Also seht mal, ob ihr fünf Salamander fangen könnt.« Ich sah Stump an, als würde ich meinen Ohren nicht trauen, und dann schlenkerte ich meine Kiste am Griff und stupste seine an, als würde ich mit ihm anstoßen.
    »Fertig?«, fragte ich. Er sprang von der Veranda, und wir liefen über den Hof zu dem Bach unten am Hügel.
    Aber wir fingen keine Salamander. Wir konnten nicht mal einen einzigen finden. Es war wahrscheinlich das einzige Mal, dass ich auf Salamanderjagd ging und keinen fand, und als wir den Hügel wieder hinauf zu unserem Haus gingen, hatten wir in unseren kleinen Kisten bloß ein paar Stöckchen und Grashalme, die mich an das Terrarium erinnerten, das wir im Klassenraum in der Schule hatten.
    Meine

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