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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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Schranktür konnte ich Stumps stille Schachtel auf dem obersten Ablagebrett sehen. Mama hatte sie für ihn gemacht, als er klein war, weil sie meinte, wenn die Welt zu laut wurde, bräuchte Stump einen stillen Ort, wo er allein sein konnte, wenn er wollte. Sie nahm einen von Daddys Schuhkartons und schrieb an der Seite »Stille Schachtel – nicht öffnen« drauf. Ich konnte vom Bett aus ihre Handschrift lesen. Sie hatte mir nie gezeigt, was in der stillen Schachtel drin war, und ich hatte mich nicht mal getraut, Stump zu fragen, weil ich Angst hatte, sie würde es rausfinden.
    Mama hatte gerade das Hemd aus dem Wäschekorb genommen, das ich an dem Tag in der Schule angehabt hatte, als ich sie nach Pastor Chambliss’ Hand fragte, und anstatt es aufzuhängen, hielt sie es einfach bloß vor sich und starrte darauf, als wollte sie sehen, wie sauber es geworden war.
    »Was soll das heißen, ›was mit seiner Hand passiert ist‹?«, fragte sie. Dann erst tat sie mein Hemd auf einen Kleiderbügel, hängte es in den Schrank und griff wieder in den Wäschekorb.
    »Wie ist sie so geworden?«, sagte ich. »Wieso ist sie ganz rosa?« Sie drehte sich um und blickte mich an. Ich sah, dass sie die Bluejeans in der Hand hielt, die ich unten am Bach nass und dreckig gemacht hatte.
    »Wie kommst du jetzt darauf?«, fragte sie.
    »Weiß nicht«, sagte ich. »Nur so.« Sie drehte sich wieder zur Kommode um und faltete meine Jeans, zog eine Schublade auf und legte sie hinein. Sie seufzte.
    »Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass Pastor Chambliss früher einmal, bevor der Heilige Geist über ihn kam, für die Welt entflammt war und dass die Dinge dieser Welt ihn verbrannt haben?«
    »Was heißt das?«, fragte ich.
    »Das heißt, dass er nicht für den Herrn gelebt hat«, sagte sie. »Er war für die Welt entflammt. Aber jetzt ist er für den Herrn Jesus entflammt, und nichts auf dieser Welt kann ihn je wieder verbrennen.« Sie faltete weiter Wäsche, ohne sich zu uns umzudrehen. Den Flur runter, hinten im Wohnzimmer, hörte ich, wie Daddy sich in seinen Sessel niederließ und der Fernseher eingeschaltet wurde.
    »Wie sieht denn der Rest von ihm aus?«, fragte ich. »Ist der auch ganz verbrannt?« Mama nahm die übrigen Sachen alle auf einmal aus dem Wäschekorb und stopfte sie ungefaltet in eine Schublade. Sie griff nach dem Korb, drehte sich um und blieb erst an der Tür stehen, um sich nach mir und Stump im Bett umzusehen.
    »Warum fragst du mich das?«, fragte sie schließlich.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Einfach so.«
    »Ich hab nie darüber nachgedacht, wie der Rest von ihm aussieht«, sagte sie. »Und du solltest auch nicht über so was nachdenken. Schlaf jetzt.« Sie knipste das Licht im Zimmer aus und schloss die Tür. Ich hörte sie durch den Flur zu Daddys und ihrem Schlafzimmer gehen, und dann hörte ich, wie sie die Tür zumachte und ihre Schuhe nach dem Ausziehen auf den Boden fallen ließ. Die Bettfedern quietschten, als sie sich hinlegte.
    Ich lag mit offenen Augen im Dunkeln und starrte an die Decke. Dann drehte ich mich auf die Seite und sah zu Stump hinüber. »Was hast du gesehen, als du oben auf der Regentonne warst?« Wir blickten uns einen Moment lang an, und dann schloss er die Augen und rollte sich auf die andere Seite. Ich lag da, sah Stumps Hinterkopf an und musste daran denken, wie Pastor Chambliss um die Hausecke gekommen war und ihn dasselbe gefragt hatte: »Was hast du gesehen?«
    Ich drehte mich auf den Rücken und starrte wieder an die Decke, und dann schloss ich die Augen so fest ich konnte und versuchte zu beten, aber sosehr ich mich auch bemühte, ich konnte nicht anders, als mich immer wieder zur fragen, ob diese rosa verbrannte Hand meine Mama angefasst hatte.

    Aber jetzt hielt Pastor Chambliss in der Kirche seine Bibel in der verbrannten Hand, und mir fiel ein, dass Mama gesagt hatte, er wäre für den Heiligen Geist entflammt, und ich stellte mir vor, wie er ganz viel Hitze abstrahlte, die dieses Klimagerät vielleicht aus der Kirche saugte und genau auf Joe Bill und mich pustete.
    Bei dem Lärm, den das Klimagerät und das Klavier zusammen machten, konnte ich nicht hören, was Pastor Chambliss sagte, aber es sah so aus, als würde er ins Mikrophon predigen, weil er nämlich die Bibel in der Hand hielt und sie hochhob und damit auf die Leute zeigte. Er ging hin und her, und ich konnte ihn ein paar Sekunden lang nicht sehen, aber dann kam er wieder an die Stelle, wo ich ihn

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