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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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beobachten konnte, und da hatte er auf einmal eine Frau bei sich auf dem Podium, und ich wusste, dass es Mama war, noch bevor ich ihr Gesicht sah. Ich schob mich ein bisschen höher, um besser sehen zu können, und dann sah ich Stump, der direkt neben ihr stand. Irgendwas zupfte mich hinten am Hemd, und ich merkte, dass es Joe Bill war. Er war um das Klimagerät herumgekommen und stand jetzt neben mir.
    »Ich hab gerade Stump gesehen«, sagte er. Er zupfte wieder an meinem Hemd, und ich hielt mich auf den Zehenspitzen und trat nach ihm, damit er aufhörte. »He«, flüsterte er mir zu.
    »Ich seh ihn auch«, sagte ich.
    »Wieso ist er denn da vorne?«
    »Weiß nicht«, sagte ich. Er ließ mein Hemd los und ging wieder rüber auf die andere Seite des Klimageräts.
    Ich konnte bloß Stumps Hinterkopf sehen, aber ich merkte ihm an, dass er sich in der Kirche umschaute, auf die vielen Leute blickte, und ich sah, dass die meisten von ihnen jetzt die Augen offen hatten und seinen Blick erwiderten. Pastor Chambliss, der die Bibel in seiner schlimmen Hand hielt, trat vor, schob sich zwischen Mama und Stump und legte die andere Hand auf Stumps Kopf. Mama griff an Pastor Chambliss vorbei und berührte Stump an der Schulter, und es sah aus, als würden sie alle beten. Aber nachdem sie einen Moment so dagestanden hatten, fing Stump an, rumzuzappeln, als wollte er weg von ihnen. Pastor Chambliss stellte sich hinter ihn, die Bibel noch immer in der schlimmen Hand, und schlang diesen hässlichen Arm um Stumps Schulter, als wollte er ihn ganz fest drücken. Er hob den linken Arm, um Mama von Stump wegzuschieben, und sie nahm ihre Hand von Stumps Schulter und wich zurück, bis ich sie nicht mehr sehen konnte. Ich konnte nicht mit ansehen, wie Pastor Chambliss seinen Arm um Stump gelegt hatte, und irgendwie war ich wütend auf Mama, weil sie das zuließ.
    Pastor Chambliss hielt Stump fest, immer weiter fest, und es sah aus, als würde er ihn von hinten umarmen und nie wieder loslassen, obwohl Stump versuchte, von ihm wegzukommen, weil er das noch nie leiden konnte, wenn jemand ihn anfasste und so festhielt. Die ganzen Leute da drin hoben die Hände in die Luft und fingen an zu singen, als das Klavier wieder losklimperte, aber ich konnte kaum was hören außer dem Klimagerät direkt neben meinem Kopf, und mir wurden die Arme so zittrig und müde, dass ich Angst hatte, gleich runterzufallen. Ich konnte Mamas Gesicht nicht ausmachen, aber ich sah ihre Hand, die Stumps Hand nahm. Doch Stump wehrte sich so heftig gegen Pastor Chambliss, dass Mama seine Hand kaum festhalten konnte. Pastor Chambliss hatte jetzt beide Arme um Stump gelegt und hielt ihn richtig fest, die Bibel gegen Stumps Brust gedrückt, und die beiden schwankten vor und zurück, als könnten sie nicht gerade stehen. Und dann fielen sie plötzlich hin, und ich konnte sie nicht mehr sehen, weil sie auf dem Boden lagen.
    Mama griff nach unten und versuchte, Stump zum Aufstehen zu bewegen, und es sah so aus, als würde sie an seiner Hand ziehen, aber Pastor Chambliss hielt ihn wohl immer noch fest, und Mama weinte, und es sah aus, als würde sie ihn anschreien, er sollte Stump loslassen. Ich spürte Joe Bill an meiner Jeans ziehen, so fest, dass ich Angst bekam, er würde mich vom Fenster runterzerren und ich dann nichts mehr sehen können.
    »Was machen die mit ihm?«, fragte Joe Bill, aber seine Stimme war bloß ein leises Flüstern, und es klang, als wäre er ganz außer Atem und müsste die Worte rauspressen. »Jess«, sagte er. »Was macht der mit ihm?« Ich starrte einfach weiter Mama an und antwortete nicht, weil ich sie weinen sah und selber weinen musste und nicht wollte, dass Joe Bill das merkte.
    Ein anderer Mann kam auf das Podium und kniete sich hin, und ich dachte, er wollte Pastor Chambliss helfen, Stump festzuhalten, aber ich konnte nichts sehen, außer dass Mama weinte und versuchte, Stumps Hand zu halten. Es sah aus, als würde sie die beiden anschreien, sie sollten aufstehen und Stump in Ruhe lassen.
    »Jess, lass uns gehen«, sagte Joe Bill. Ich spürte, wie er mich wieder hinten am Hemd zog, aber ich drehte mich nicht um und blieb weiter auf Zehenspitzen stehen.
    »Das ist gemein, was die da mit ihm machen«, sagte ich.
    »Jess«, sagte er. Seine Stimme klang, als würde er gleich losweinen. »Wir müssen hier weg. Es passiert ihm schon nix.« Danach sagte er nichts mehr, und ich wandte den Kopf, um ihn zu bitten, die Hände unter meine Füße zu schieben

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