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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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die Milchflasche zurück in den Kühlschrank und trug das Glas zum Tisch.
    Mein Grandpa schnippte die Zigarette in den Hof, öffnete die Fliegentür und kam herein. Er setzte sich mir gegenüber an den Tisch. Ich nahm wieder einen Bissen von dem Brot und kaute. Ich konnte spüren, dass er mich ansah.
    »In welche Klasse gehst du?«, fragte er. Ich schluckte das Brot runter und trank einen Schluck Milch.
    »Dritte«, sagte ich. Ich schaute ihn an und sah, dass er mich noch immer anstarrte. Ich sah nach unten auf meinen Teller und biss wieder von dem Brot ab. Dann legte ich die rechte Hand auf den Tisch und schaute auf meine Handfläche, wo der kleine Splitter noch unter der Haut steckte. Mit der anderen Hand nahm ich mein Glas Milch und trank einen ordentlichen Schluck, und dann stellte ich es hin und kratzte mit dem Fingernagel über die Stelle, wo der Splitter saß, um zu sehen, ob ich spüren konnte, wo er anfing. Ein kleines Stückchen lugte heraus, aber es reichte nicht, um es zu packen.
    »Was machst du da?«, fragte mein Grandpa. Ich hob die Hand vom Tisch und öffnete sie, als würde ich winken, damit er es sehen konnte.
    »Ich hab einen Splitter«, sagte ich.
    »Wieso hast du ihn noch nicht rausgezogen?«, fragte er.
    »Mama hat’s versucht«, sagte ich, »aber sie hat ihn nicht ganz rausgekriegt. Sie hat gesagt, der Rest würde von allein rauskommen.«
    »Meine Güte«, sagte er. Er stand vom Tisch auf, ging an mir vorbei und öffnete einen Schrank und nahm eine von Mamas glänzenden Rührschüsseln aus Metall heraus. Er ging zur Spüle und ließ Wasser in den Boiler laufen, und dann nahm er die Flasche Spülmittel und drückte einen Spritzer in die Schüssel. Es sah aus, als wollte er eine Schüssel spülen, die schon sauber war.
    »Was machst du?«, fragte ich.
    »Ich kenn da einen Trick«, sagte er. Das Wasser im Boiler fing an zu brodeln, und er hielt die Rührschüssel unter den Hahn und ließ das heiße Wasser vermischt mit etwas kaltem hineinlaufen. Seifenschaum quoll über den Rand, und er drehte das Wasser ab und trug die Rührschüssel zum Tisch. Er stellte sie vor mich hin.
    »Am Anfang ist es ein bisschen heiß«, sagte er, »aber lass die Hand ein paar Minuten drin einweichen.«
    »Wieso?«
    »Weil du etwas, das sich lösen soll, zuerst glitschig machen musst«, sagte er. »Deshalb.«
    Ich kniete mich auf den Stuhl und setzte mich auf meine Schuhe, und in dem Moment spürte ich, wie mich irgendwas in den Hintern piekste. Ich schaute nach hinten auf meine Schuhe, und dann schaute ich auf den Stuhl, aber da war nichts. Ich tastete in meiner Gesäßtasche herum und fand das kleine Stück Quarz, das Stump mir am Morgen gegeben hatte, bevor Mr Thompson ihn mit in die Kirche nahm. Ich legte es auf den Tisch neben die Rührschüssel.
    »Was ist das?«, fragte mein Grandpa, aber ich hatte keine Lust, es ihm zu erzählen.
    »Nichts«, sagte ich.
    Ich tauchte die rechte Hand in die Rührschüssel, und zuerst war mir das Wasser fast zu heiß, um die Hand drinzulassen, aber ich tat es trotzdem, und nach einigen Sekunden hatte ich mich dran gewöhnt. Mein Grandpa setzte sich auf den Stuhl neben meinem.
    »Wo hast du das gelernt?«, fragte ich.
    »Tja«, sagte er, »wenn du lange genug mit Holz arbeitest, lässt du dir irgendwann was einfallen, wie du einen Splitter schnell wieder rauskriegst.«
    »Bist du Schreiner?«, fragte ich ihn.
    »Im Moment bin ich nicht besonders viel«, sagte er, »aber ich war schon so allerhand. Ich schätze, irgendwann auch mal Schreiner.«
    Ich hörte, wie er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte, und ich konnte spüren, dass er mich beobachtete. Ich legte das Kinn auf den Tisch und sah mir die Rührschüssel von der Seite an. Ich konnte mein verschwommenes Spiegelbild drin sehen, und direkt daneben das Gesicht von meinem Grandpa. Das Spiegelbild von dem Quarz war genau in der Mitte zwischen uns.
    »Du siehst genauso aus wie dein Daddy«, sagte er.
    Ich saß da, mit dem Kinn auf dem Tisch, und starrte sein verschwommenes Spiegelbild an. Ich dachte, dass ich das Gleiche zu ihm sagen könnte.

10
    Ich putzte mir die Zähne und wusch mir das Gesicht im Badezimmer ohne Licht, und mein Grandpa ging wie- der auf die vordere Veranda. Es gefiel mir nicht, mich ohne Stump bettfertig zu machen. Ich wollte ihn sehen, wie er neben mir in den Spiegel schaute, und ich wollte sehen, wie er sich auch die Zähne putzte. Ich konnte mir vorstellen, wie er dastand, und ich konnte fast spüren, wie

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