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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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vielen Gucken.
    »Wo soll ich dich absetzen?«, fragte der Mann mich.
    »Ist egal«, erwiderte ich. Er dachte bestimmt, er hätte so einen richtigen Trampel aus den Bergen aufgegabelt, und ich muss sagen, ich kann’s ihm nicht verdenken. So ein naives Ding wie mich hatte er bestimmt noch nicht erlebt, da bin ich sicher.
    »Na, was für eine Arbeit suchst du denn?«, fragte er.
    »Das ist auch egal«, sagte ich.
    Das hatte ihn wohl geärgert, denn er hielt das Fuhrwerk prompt einfach so mitten in der Stadt an, wo all die Autos und Straßenbahnen vorbeisausten, und ich saß da oben auf dem Wagen mit großen Augen und voller Angst. Mit den Zügeln in den Händen, sah er mir zu, wie ich abstieg und mir den Staub abklopfte und nach meinem kleinen Bündel griff.
    »Was hast du denn jetzt vor?«, fragte er.
    »Ich habe vor, mir eine Arbeit zu suchen«, erwiderte ich, und es dauerte überhaupt nicht lange, bis mir genau das gelang.
    Für die Nacht nahm ich mir ein Bett in einer Herberge für Mädchen, und am nächsten Tag fand ich Arbeit als Wäscherin. Ich wusch die Wäsche von den Sommergästen, die in den Pensionen um den Platz und in den vornehmen Hotels wohnten. Und du liebe Zeit, was hatten diese Leute aus Städten wie Charleston und Atlanta und Savannah doch für hübsche, feine Sachen, so was hatte ich wirklich noch nie gesehen. Aber auch diese ganzen feinen Stoffe machten die Arbeit nicht leichter. Waschen ist Schwerstarbeit für die Hände. Sie sind die ganze Zeit nass, und irgendwann kannst du dir die Haut abziehen wie bei einer Zwiebel. Du kriegst zwar ganz weiche Hände davon, aber es dauert nicht lange, und sie tun dir höllisch weh. Ich fand die Arbeit furchtbar, aber eine andere konnte ich nicht finden. Es war Frühsommer, und bis die Apfelsaison im Süden der Stadt losging, waren es noch drei Monate, und der Tabak war auch noch nicht erntereif. Deshalb war Waschen die einzige Arbeit, die ich kriegen konnte, und so ziemlich meine einzige Erfahrung mit Jobs, in denen Leute in der Stadt arbeiteten.
    Ich wusch den ganzen Sommer lang wie der Teufel, um einen vollen Magen und ein Dach über dem Kopf zu haben, und gleich am ersten Tag, als die Tabakscheunen am Fluss aufmachten, war ich zur Stelle, um ein bisschen Arbeit zu ergattern. Die Leute da warfen einen Blick auf mich, ein mageres Mädchen aus den Bergen, und sie sagten: »Was in aller Welt verstehst du denn von Tabak?«
    Natürlich hatte ich mein ganzes Leben mit Burley gearbeitet, und das sagte ich ihnen: »Ich versteh mehr davon als ihr, so viel ist sicher. Lasst mich für euch arbeiten und zahlt mir einen guten Lohn, dann zeig ich euch, wie viel ich von Tabak verstehe.« Und eins kann ich Ihnen sagen: Ich mit meinen vierzehn Jahren habe den Laden im Handumdrehen auf Vordermann gebracht.
    »Sie da«, habe ich zum Beispiel zu einem Verkäufer gesagt, »was zum Teufel haben Sie mit dem Burley angestellt? Ihn auf dem Weg hierher durch den French Broad geschleift? Der muss erst ordentlich trocknen, bevor er hier auf die Waage kommt«, und, »Jawohl, Sir, Sie haben da eine richtig gute Ernte, und wir schlagen Ihnen dafür auch ein richtig gutes Geschäft vor.« So habe ich fast dauernd geredet, damit die Käufer einen guten Preis kriegten.
    Die sagten oft: »Wo um alles in der Welt hast du gelernt, so über Burley zu reden?«, und ich ließ dann irgendwas vom Stapel, ich wäre schon mit einem Burleymesser in der Hand auf die Welt gekommen, und ich schwöre, ein paar von den Burschen haben mir das tatsächlich geglaubt.
    Aber es war schon eine wirklich harte Zeit für die Menschen, wo so viele junge Männer in den Krieg gezogen waren und bei ihrer Rückkehr die Krankheit mitbrachten. Als wenn es nicht schon schlimm genug gewesen wäre, dass die Stadt rappelvoll mit Schwindsüchtigen war. Die saßen auf den mit Fliegendraht geschützten Veranden von den Sanatorien an der Straße stadtauswärts und auf dem Weg zu den Tabakfarmen. Die Leute versuchten, es sich nicht anmerken zu lassen, aber es war ihnen auf Anhieb anzusehen. Die sahen einfach krank aus und versuchten irgendwie, die kleinen Taschentücher zu verbergen, die kleinen roten Punkte auf dem Stoff. Als die Männer schubweise aus dem Krieg nach Hause kamen, wurde es noch viel schlimmer, als es sowieso schon war. Die Grippe, die sie mitbrachten, war die reinste Katastrophe, und nicht bloß in der Stadt und in diesem Teil des Landes. Tausende starben, Tausende. Ganze Familien wurden in nur ein oder zwei

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