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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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hervorlugen sehen.
    »Bist du das, Gerty?«, fragte ich.
    »Wer um alles in der Welt soll ich denn sonst sein?«, sagte sie durch den Schal. Sie stapfte an mir vorbei ins Haus, und der Schnee fiel aus den Profilsohlen ihrer schweren Stiefel.
    »Was treibt dich denn bei diesem Wetter so spät in der Nacht hierher?«, fragte ich. Sie wickelte sich langsam den Schal vom Gesicht, und ich sah, dass ihre Wangen leuchteten wie rote Äpfel. Ihre Augen tränten von der Kälte. Als sie den Schal endlich abgewickelt und die Mütze vom Kopf gezogen hatte, durchlief ein kräftiger Schauer ihren Körper.
    »Es geht um Julie Hall«, sagte sie. »Sie kommt nieder, und Ben kann sie mit seinem Pick-up nicht den Berg runterbringen. Sie haben versucht, Doc Winthrop anzurufen, aber sie haben ihn nicht erreichen können. Sie haben auch versucht, dich anzurufen, aber ich vermute, bei dem Wetter funktioniert dein Telefon nicht.«
    »Winthrop ist wahrscheinlich betrunken und schläft seinen Rausch aus«, sagte ich. »Nie im Leben fährt der Mann heute Nacht den Gunter Mountain hoch. Nicht bei diesem Schnee.«
    »Ben hat gefragt, ob du dich um sie kümmern könntest, wenigstens bis das Wetter besser wird und sie den Berg runter ins Krankenhaus fahren können. Ich hab gesagt, ich würde zu dir gehen und dich fragen, aber ich hab ihm gesagt, dass es hier unten auch ganz schön scheußlich ist.«
    Ich habe dagestanden und zugesehen, wie die kleinen roten Äpfel von ihren Wangen verschwanden, und dem Wind gelauscht, der den Schnee herumwirbelte, und an mein warmes Bett im Zimmer nebenan gedacht.
    »Ronnie kann dich vielleicht hochbringen«, sagte sie. »Sein Pick-up hat so richtig dicke Reifen, und es würde mich kein bisschen wundern, wenn er dich im Handumdrehen den Berg hochfahren kann.«
    Ich dachte angestrengt darüber nach.
    »Na schön, ich komme mit«, sagte ich schließlich. »Ich zieh mir nur schnell was an.« Ich drehte mich um und ging Richtung Schlafzimmer, und sie folgte mir und ging dann in die Küche und ganz nah an den Herd, wo sie sich die dicken Fausthandschuhe auszog und die Hände ausstreckte, um sie zu wärmen. Ich hatte noch Holz nachgelegt, bevor ich ins Bett ging, und als sie die Klappe öffnete, konnte ich die Flammen darin munter zischen und knistern hören. Ich blieb stehen und drehte mich zu Gerty um.
    »Pass auf mit den Stiefeln«, sagte ich. »Das Gummi schmilzt dir sonst noch an den Füßen und auf meinen Boden.« Ich wusste, dass sie so durchgefroren war, dass sie nicht richtig fühlen konnte, wie heiß das Feuer war.
    »Ich weiß«, sagte sie, trat aber kein bisschen zurück.
    »Gerty!«, sagte ich. Sie brummelte etwas vor sich hin von wegen, ich würde sie rumkommandieren, und trat extra ganz langsam zurück, bloß um mich zu ärgern.
    Ich ging ins Schlafzimmer und zog mir meine Wollstrümpfe an und zwei Pullover über mein Nachthemd. Mein dicker Mantel hing am Bettpfosten, und ich zog ihn auch an. Ich suchte meine Handschuhe und Stiefel und meine Mütze zusammen und nahm alles mit, um es in der Küche auf den Tisch zu legen. Als ich in die Küche kam, stand Gerty schon wieder ganz nah am Herd. Ich beschloss, mich nicht mehr einzumischen; wenn sie unbedingt Feuer fangen wollte, dann bitte schön.

    Wir öffneten die Tür und traten nach draußen, und der Wind riss mich wieder fast von den Beinen, und der Schnee wirbelte wie wild um uns herum. Ich und Gerty trotteten los den Berg rauf. Die halbe Meile bis zu ihrem Haus war eine ganz schöne Strapaze, das kann ich Ihnen versichern, für zwei alte Frauen wie uns, die sich verzweifelt aneinanderklammerten und rutschten und schlitterten wie kleine Kinder auf Rollschuhen.
    »Großer Gott, Gerty«, sagte ich. »Wie hast du das bloß allein den Berg runtergeschafft?«
    »Ich hab’s einfach gemacht«, sagte sie.
    »Glaubst du, Ronnie kommt bei dem Wetter den Berg hoch?«
    »Ganz bestimmt.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Ich hab ihn noch nicht geweckt.«
    Na, da hätte ich mich fast hingelegt, um auf der Stelle zu sterben. Ich blieb wie angewurzelt stehen, aber Gerty ging einfach weiter. Ich brüllte hinter ihr her.
    »Soll das heißen, ich klettere hier den Berg hoch, um in einen Pick-up zu steigen, von dem du nicht weißt, ob er den Gunter hochkommt, mit einem Fahrer, der noch nicht mal wach ist?«
    »Genau das soll es heißen«, brüllte sie zurück.
    »Wieso hast du ihn nicht geweckt und gefragt, ob sein Pick-up das schafft?«
    Sie blieb stehen und drehte sich um. Ich

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