Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
Vom Netzwerk:
manchen Jungs hier oben genügt das schon, aber bei Ben war das anders. Er wollte ein guter Mensch sein, ein guter Christ. Ich glaube, das lag ihm einfach nicht im Blut.
    Vielleicht dachte Ben, er könnte davor weglaufen, und vielleicht ist er ja auch deshalb mit seiner Familie kurz nach Christophers Geburt vom Berg weggezogen. Vielleicht hat er den Gunter gegen die Täler näher am French Broad River eingetauscht, um einer Vergangenheit zu entfliehen, die ihn schon mit der geballten Faust seines Daddys und einer starken Vorliebe für Whisky gezeichnet hatte.
    Einige Jahre nach Christophers Geburt und bevor Jess auf die Welt kam, zogen Ben und Julie in ein kleines Haus mit Außenklo, das ein Mann namens Tupelo Gant für sich und seine junge Frau, nur wenige Jahre nachdem sie geheiratet hatten, im Tal gebaut hatte. Mr Gant blieb kinderlos und lebte dort viele, viele Jahre und bewirtschaftete eine kleine einträgliche Farm. Aber ehe er es sich versah, wachte er eines Morgens auf und merkte, dass er zu alt und zu stur war, um bei den hohen Auflagen der Tabakbehörde weiter Burley anzubauen. Also verkaufte er das Haus und das Land und zog mit seiner Frau in einen dieser hässlichen alten Trailer, die in der ganzen Gegend wie Pilze aus dem Boden schossen.
    Als Ben das Haus samt Land gekauft hatte, verließ er sein Elternhaus und zog mit seiner Frau und seinem kleinen Jungen runter von dem Berg und näher an den Fluss. Vielleicht sah er den endgültigen Wegzug von zu Hause als Zeichen dafür, dass er in eine Zeit zurückkehrte, in der es üblich war, in einer dicken Jacke und mit einer Lampe durch den Schnee zum Außenklo zu stapfen, als es ganz normal war, zu Fuß zur Arbeit zu gehen, weil die Arbeit gleich auf der anderen Seite des Hofes war und in der Scheune und auf dem Feld. Männerhände hatten ordentlich schwielig zu sein, und das wurden sie durch Zügel und Schaufeln und die Hände von anderen Männern, deren raue Haut beim Handschlag alles über ihr Leben verriet. Wenn ich auf das alles zurückblicke, kann ich nichts Romantisches darin sehen. Ich bin froh, dass ich mein Innenklo und meine Waschmaschine habe, aber ein paar von diesen jungen Leuten sind anders, und sie wünschen sich harte Zeiten, damit sie was beweisen können. Wem sie was beweisen wollen, ist mir ein Rätsel, aber ich schätze, Ben war einer von diesen jungen Leuten, und er war überzeugt, dass er und seine Familie ein einfacheres Leben führen konnten. Aber vielleicht zwang ihn auch seine Familiengeschichte und die Angst vor deren Folgen, vom Berg ins Tal zu ziehen. Er könnte alle möglichen Gründe gehabt haben, aber was genau ihn dazu veranlasst hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.

    Die Straße auf den Gunter Mountain war früher mal unbefestigt und nur mit ein bisschen Schotter bestreut gewesen, aber dann wurde sie asphaltiert, und das ist sie auch heute noch, soweit ich weiß. Aber gütiger Gott, der Pick-up von dem Jungen hatte trotzdem ganz schön zu kämpfen, und die Reifen rutschten auf dem Schnee hin und her, als würden wir über Glas fahren, und ich saß da und rechnete jeden Moment damit, dass Ronnie den Wagen in den Abgrund steuern würde.
    »Ich glaub, der Wagen schafft das nicht, Ronnie«, sagte ich wieder und wieder, aber er schien mich gar nicht zu hören. Er saß übers Lenkrad gebeugt und sprach leise mit dem Pick-up, als könnte er ihm gut zureden.
    »Wir schaffen das nicht, Ronnie«, sagte ich schließlich. »Halt an und lass mich raus. Ich geh das letzte Stück zu Fuß.«
    Er saß bloß da und blickte nach draußen auf die dicken Schneeflocken, die sich auf die Scheinwerfer setzten.
    »Meine Ma bringt mich um, wenn ich Sie jetzt allein den Berg hochgehen lasse«, sagte er. »Ich wette, der Schnee ist hier oben über einen Fuß tief.«
    »Ich weiß wirklich keine andere Möglichkeit«, sagte ich. »Nein, ich glaube, ich muss zu Fuß weitergehen. Fahr du nach Haus und geh wieder ins Bett, und ich ruf bei euch an, wenn alles erledigt ist. Du holst mich dann genau hier wieder ab.«
    »Meine Ma bringt mich um«, sagte er.
    »Na, das ist eure Sache«, sagte ich und öffnete die Tür. »Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu Fuß zu gehen, wenn ich heute Nacht noch da ankommen will. Fahr schön vorsichtig zurück. Ich ruf dann bei euch an.«
    Ich schloss die Tür und machte mich in dem Schneetreiben, das einem die Sicht raubte, auf den Fußmarsch.
    Als ich so die Straße hochstapfte, musste ich daran denken, dass Gerty mir

Weitere Kostenlose Bücher