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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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einmal spitzgekriegt hatte, dass er mit einem strahlenden Lächeln und ein paar Dollar mehr bei den Beamten keine Probleme mit seinem Überschuss bekam. Aber das war weiß Gott noch nicht so, als er damals anfing.
    So wie Julie mir die Geschichte erzählte, hatte dieser Beamte sich den Spaß gemacht, ein paar Reihen Burley auszureißen, während Ben einfach dabeistand und zusah, und nun ragten die staubigen Wurzeln der Pflanzen hinten über die Ladefläche von dem Pick-up des Mannes. Er selbst stand am hinteren Kotflügel und zeichnete Bens Felder auf seinem Klemmbrett ein, und dann verschränkte er die Arme und wartete, während Ben sich die Kartierung und den gan- zen Papierkram so bedächtig und sorgfältig ansah, wie er konnte.
    Julie war eine hübsche junge Frau. Ein helles, zierliches Ding mit ihrer weißen Haut und den blonden Haaren – eine von der Sorte, die leicht Verehrer findet und es in ihrer Gutherzigkeit wahrscheinlich nicht mal merkt. Vielleicht fiel sie dem Mann auf, so dass er nicht mehr auf Ben achtete, der den Papierkram durchsah, sondern auf Julie, die da im Blumenbeet vor der Veranda kniete und Unkraut jätete. Oder vielleicht wurde der Mann von dem kleinen Jungen abgelenkt, der da neben Julie im Beet stand und ihr nur mit den Spitzen seiner kleinen Finger den Staub von der Schulter wischte, als müsste das unbedingt sauber gemacht werden. Ich weiß nicht, was ihn aufblicken ließ, aber ich schätze, er schaute lange genug hin, um zu sehen, dass die tiefen blauen Augen des Jungen wie gebannt auf das Feld blickten, von dem er und Ben gerade gekommen waren.
    »He, Kleiner«, sagte der Mann und rechnete wohl da- mit, dass der Junge den Kopf zu dem Pick-up umdrehen und seine Augen auf ihn richten würde. Natürlich rührte Christopher sich kein bisschen. »He, kleiner Mann«, sagte der Beamte noch lauter. Ich habe schon öfters erlebt, dass es Leuten richtiggehend peinlich ist, wenn Kinder ihnen keine Beachtung schenken. Das ist eine ziemlich normale Reaktion, und ich schätze, dem Mann ist es nicht anders ergangen.
    »Einen stillen Jungen haben Sie da«, sagte der Beamte zu Ben. Julie erzählte, dass sie vom Unkrautjäten aufschaute und zu Ben und dem Taxierer rüberblickte, die hinter ihr in der Einfahrt standen. Die untergehende Sonne war genau hinter ihnen, deshalb konnte sie nur ihre Umrisse vor dem grellen Licht sehen. Der Mann wandte sich an sie. Sie konnte sein Gesicht in der Helligkeit kaum erkennen. »Ihr Junge ist wohl eher von der schweigsamen Sorte«, sagte er. »Ein nachdenklicher Kopf. Wenn ein kleiner Junge so starr wie ein Baumstumpf dastehen kann, muss er ja wohl ein nachdenklicher Kopf sein.«
    Er lachte vor sich hin, als hoffte er, dass Ben und Julie mitlachen würden, aber Ben, der die Papiere gelesen und unterschrieben hatte, gab dem Beamten bloß Klemmbrett und Stift zurück.
    »Er ist auch stumm wie ein Baumstumpf«, sagte Ben. »Er hat sein Lebtag noch kein Wort gesprochen.«
    »Hören Sie, ich wollte wirklich nicht …«, setzte der Mann an.
    »Ich verlass mich drauf, dass der Burley, den Sie mir rausgerissen haben, auch verschwindet«, sagte Ben. »Ich will nicht hören, dass er irgendwo weiter die Straße runter Wurzeln schlägt.« Er stand da und sah den Beamten an, und dann ging er an ihm vorbei über den Hof zur Scheune.
    Der Mann schaute zu Julie rüber, die noch in dem Beet hockte. Sie zog ihr Kopftuch aus der Tasche ihres Kleides und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihn sogar auf ihre bescheidene Art anlächelte, so dass es der Mann noch mehr bedauerte, dass er das über ihren Sohn gesagt hatte.
    »Ich schwöre, ich habe mir nichts dabei gedacht«, sagte der Mann. Er blickte von Julie zu dem kleinen Jungen und sah, dass dessen Augen jetzt nicht mehr auf das Feld gerichtet waren, sondern auf seinen Vater, der gerade über den Hof auf den Schatten der Scheune zusteuerte.
    Von diesem Tag an, hieß Christopher für alle außer Julie nur noch »Stump« – Stumpf.
    Dieses Kind war etwas Besonderes, ich weiß einfach nicht, wie man das sonst bezeichnen könnte. Als Baby schrie er kein einziges Mal, und als er drei Jahre alt war, wussten die beiden jungen Leute, dass er niemals sprechen würde. Er summte manchmal, und wenn er etwas wollte, grummelte er auch mal, aber mehr auch nicht. Ja, er war still, aber man konnte nicht behaupten, dass er nicht friedlich war. Er konnte den ganzen Tag reglos auf den Verandastufen sitzen und

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