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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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die Hände aus.
    »In welchen Abständen kommen sie?«, fragte ich.
    »In welchen Abständen kommt was?«
    »Die Wehen«, sagte ich.
    »Meine Güte, Miss Lyle«, sagte er. »Keine Ahnung. Ich hab nicht mal dran gedacht, darauf zu achten.«
    Ich drehte mich wieder zum Feuer um und spürte, wie mir die Kälte aus Händen und Gesicht wich.
    »Also, du setzt jetzt als Erstes einen Topf Wasser auf«, wies ich ihn an. »Wenn das Wasser kocht, wirfst du eine Schere rein, und dann suchst du ein Stück Kordel und holst ein paar Handtücher oder was immer ihr zum Saubermachen dahabt. Könnte eine lange Nacht werden.«
    Ich machte ganz leise die Schlafzimmertür auf und schau- te hinein und sah Julie im Bett sitzen, mit dem Rücken an ein paar Kissen gelehnt. Als ich das Zimmer betrat, schlug mir die Luft, die durch die geöffneten Fenster hereinkam, ins Gesicht, und ich hätte fast aufgeschrien, weil es nach der Wärme am Kamin so kalt da drin war.
    »Ich hab Ben gesagt, er soll sie aufmachen«, sagte sie. »Mir ist schrecklich heiß.«
    »Gütiger Himmel, Kind«, sagte ich. »Wie geht es dir?«
    »Ganz gut«, sagte sie. »Ich glaube, es dauert nicht mehr lange. Ich bin froh, dass Sie da sind.« Ich zog den Mantel enger um mich und trat ans Bett.
    »Ich bin froh, dass ich kommen konnte«, sagte ich.
    Ich half ihr, runter zum Fußende des Betts zu rutschen, und rief Ben zu, noch ein paar Kissen zu bringen, um sie abzustützen. Er holte mir einen kleinen Stuhl, und ich setzte mich ans Fußende.
    »In welchen Abständen kommen sie?«, fragte ich Julie.
    »Fast ohne Unterbrechung«, sagte sie. Ich hob ihr Nachthemd und schaute nach, und da sah ich, dass das Köpfchen schon rausguckte und noch in der Fruchtblase steckte.
    »Ich glaub, ich weiß, warum«, sagte ich. »Das Baby ist gleich da.«
    Ben ging zu ihr und nahm ihre Hand, und sie fing an zu pressen und zu keuchen. Ich sah zu, wie der kleine Kopf des Jungen ganz herauskam, und da wusste ich, dass der Kleine mit einer Glückshaube geboren werden würde, und so war es auch.
    »Dieser Junge wird Glück im Leben haben«, sagte ich. »Seht mal.« Ich hielt ihn in den Armen und hob ihm die kleine Haube von den Augen, die er im selben Moment öffnete, und dann blinzelte er und sah mich an. Ben schaute mir von hinten über die Schulter, und ich konnte ihn atmen hören, und in dem kalten Zimmer konnte ich den Atem wie Rauch aus seinem Mund kommen sehen. Ich konnte hören, wie Julie leise auf dem Bett weinte. »Er hat blaue Augen, genau wie sein Daddy«, sagte ich. Ben griff nach unten, um ihn mir aus den Armen zu nehmen, aber ich hielt ihn davon ab.
    »Noch nicht«, sagte ich. »Es gibt noch was zu tun. Nimm das Stück Kordel und schneid es in zwei Hälften.« Er holte sein Messer aus der Tasche und schnitt die Kordel durch. »Jetzt binde die eine Hälfte genau hier um die Nabelschnur. Aber schön fest.« Ich deutete auf den Bauch des Babys und sah zu, wie Ben einen Knoten machte. »Jetzt noch am anderen Ende«, sagte ich. Als er fertig war, wies ich ihn an, die Schere aus dem kochenden Wasser zu holen. Er ging in die Küche und hatte die Schere in ein Geschirrtuch eingewickelt, als er zurückkam. Er blickte nach unten auf die Nabelschnur und dann sah er mich an.
    »Also dann, Daddy«, sagte ich. »Walte deines Amtes.«

    Ben schloss die Fenster, und es wurde schon bald fast behaglich, je mehr Wärme vom Kamin im Wohnzimmer hereinströmte. Ich stellte den Stuhl neben das Bett und sah zu, wie Julie das Baby stillte. Der Kleine machte leise schmatzende Geräusche, wie alle Babys, wenn sie an der Brust saugen. Ich konnte Julie ansehen, dass sie besorgt war.
    »Wieso hat er noch nicht geschrien?«, fragte sie.
    »Du hast nun mal einen zufriedenen kleinen Jungen«, sagte ich. »Ich an deiner Stelle würde mich nicht beschweren, dass er zu still ist.«
    »Irgendwas stimmt nicht«, sagte sie.
    »Ihm geht’s gut«, sagte ich. »Er ist ein gesunder, strammer Junge. Er hat Hunger, das ist alles. Lass ihn einfach trinken. Zum Schreien bleibt immer noch reichlich Zeit.« Ich sah zu Ben hinüber, der mit verschränkten Armen am Fußende stand. Er beobachtete Julie. »Er ist ein gesunder, strammer Junge«, sagte ich noch einmal. Aber schon während ich das aussprach, wusste ich, dass es nicht stimmte.
    Nachdem die Nachgeburt gekommen war, nahm ich sie mit ins Wohnzimmer, um Ben zu sagen, was er als Nächstes tun sollte.
    »Du kannst den Topf benutzen, in dem du die Schere abgekocht hast«, sagte

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