Fürchtet euch
Jesus bombardieren, und dann hatte man besser ein paar Antworten parat, sonst ließ er nicht locker. Aber sein Daddy war von einem ganz anderen Schlag. Es gab zwei Dinge, über die der Mann einfach nicht sprach: seinen himmlischen Vater und seinen leiblichen Daddy. Er dachte wohl, nachdem er jede Verbindung zu seinem irdischen Vater gekappt hatte, musste jeder Ersatz, ob heilig oder nicht, mit demselben gründlichen Maß gemessen werden, das er an praktisch alles im Leben anlegte.
Und weiß Gott, wenn Leute nicht bekommen, was sie brauchen, nehmen sie, was sie kriegen können. Julie war da nicht anders als die meisten Frauen. Was sie fand, war eine christliche Familie, die sie und ihre beiden kleinen Jungs willkommen hieß und nie auch nur einmal fragte, warum ihr Mann seine Familie nicht am Sonntagmorgen zur Kirche begleitete. Ich vermute, das genügte ihr so einigermaßen, aber ich weiß, dass sie trotzdem manchmal ein Gefühl von Einsamkeit beschlich, wenn sie daran dachte, wie es mal zwischen ihr und Ben gewesen war. Dann überkam sie plötzlich eine Angst vor ihm, die ich nie so richtig benennen konnte. Ich behaupte nicht, dass Ben zu der Sorte Männer gehörte, die Frauen schlugen, so war er nämlich nicht. Sein Daddy wohl, aber Ben hatte das einfach nicht in sich wie manche anderen Männer. Er war keiner, der sich so über eine Frau aufregen konnte, dass er die Beherrschung verlor und zuschlug. Aber er war eine grüblerische Seele, und ich glaube, mit seiner Schweigsamkeit verletzte er Julie mehr, als es eine Hand je gekonnt hätte. Irgendwann sprachen die beiden so gut wie gar nicht mehr miteinander, nicht mal über die wichtigsten Dinge, über die Verheiratete reden sollten.
Wie sich herausstellte, war der Baum, den ich zwischen den beiden hatte wachsen sehen, gar kein Baum. Was ich für Wurzeln gehalten hatte, waren in Wirklichkeit Geschichten und Lügen und Versprechungen, die sich tief in Julies Herz festfraßen, so dass keiner sie mit irgendwas hätte rausreißen können. Die dicken Äste und Zweige, die Julie und Ben die Sicht aufeinander nahmen, als sie einander dringend hätten sehen müssen, waren lauter Arme und Finger, die Julie festhielten, ihr die Augen zuhielten und sie an der Hand zu einem Ort führten, wohin sie niemals hatte gehen wollen. Im Rückblick war es gar kein Baum; es war Carson Chambliss.
Etwa ein gutes Jahr vor Christophers Tod war ich in meinem Garten dabei, Wäsche von der Leine zu nehmen, als Julie zu mir kam und furchtbar schlecht aussah. Es hatte angefangen, leicht zu regnen, und ich wollte die Wäsche reinholen, ehe der Himmel sich öffnete und es in Strömen goss. Auf dem Weg nach draußen schaute ich übers Tal und sah die dunklen Wolken in der Ferne aufziehen, und ich konnte mir vorstellen, dass es ein Stück die Straße hoch bestimmt schon ordentlich schüttete. Im Augenblick tröpfelte es noch, aber ich machte mir nichts vor, nicht mehr lange, und das Unwetter wäre da.
Während ich also die Wäsche von der Leine nahm und in den Korb warf, spürte ich auf einmal, dass mich jemand beobachtete. Ich drehte mich um und sah Julie in der Ecke des Gartens am Haus stehen. Sie stand im Regen und beobachtete mich, die Arme um sich geschlungen, als würde sie frieren, aber es war ein warmer Sommertag, kein bisschen kühl.
»Gütiger Gott, Mädchen«, rief ich ihr zu. »Du hast mich zu Tode erschreckt.« Ich drehte mich wieder um und nahm weiter die restliche Wäsche von der Leine, aber als ich wieder zu Julie sah, hatte sie sich kein bisschen bewegt. »Alles in Ordnung mit dir?«, rief ich. Sie antwortete nicht, und sie machte auch keine Anstalten, zu mir zu kommen, also warf ich die Wäschestücke, die ich auf dem Arm hatte, in den Korb und ging zu ihr. Als ich näher kam, sah ich, dass ihre Haare feucht waren und ihr Rocksaum durchnässt, weil sie auf dem Weg zu mir durch hohes Gras gekommen war. Sie hatte Gummistiefel an, die bis zu den Knöcheln mit Schlamm bedeckt waren.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich sie noch einmal, als ich bei ihr war. Sie schlang die Arme noch enger um sich, drehte den Kopf weg und blickte die Straße hoch, die sie gerade gekommen war. Der Regen wurde etwas stär- ker, und ich konnte über dem Tal hinter mir Donnergrollen hören.
»Können Sie mir helfen, kein Baby zu bekommen?«, fragte sie. Sie wandte mir das Gesicht zu, und ihre Augen sahen aus, als würde es ihr schreckliche Angst machen, mir so eine Frage stellen zu
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