Fuerstin der Bettler
Für einen kurzen Moment geriet die Musik aus dem Takt, doch die Frauen fingen sich sofort wieder.
»Wer von Euch ist die Luderin?«, fragte das Wesen mit einer gespenstisch tiefen Stimme, die zudem rau und wie brüchig klang. Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, als wäre es ihm hier zu hell.
Bruder Adilbert senkte sofort den Blick, zog seine Haube tiefer ins Gesicht und richtete sein Augenmerk ganz auf das Drehleierspiel, während Hannah mit einer Kopfbewegung zur Luderin deutete.
»Mein Herr will Euch sehen, Luderin.« Aus dem Mund des Weißgesichtigen klang sogar dieser einfache Satz bedrohlich.
Das ist wahrlich ein Mann, um anderen die Kehle durchzuschneiden, aber kein Hausdiener, dachte Hannah. Sie machte sich Sorgen um die Luderin – und um sich und ihre Frauen. Wo Aigen den Mann wohl gefunden hatte? Er war allerhöchstens Mitte zwanzig. Seine Haut war so hell, dass sie aussah wie mit Mehl bestäubt. Dabei war sie überzogen von unzähligen eitrigen Blasen, so als hätte er die besonders schwere Form eines Sonnenbrandes.
Mit vor Entsetzen geweitetem Blick nickte die Luderin und drängte sich an Hannah vorbei, um dem Weißgesichtigen zu folgen. »Ihr müsst mir helfen«, flüsterte sie ihr dabei hastig zu.
Hannah nickte flüchtig und lächelte sie tapfer an.
Sie würde der Luderin helfen, wenn es in ihrer Macht stand. Aber sie konnte keine Wunder vollbringen. Sie blickte den beiden die Treppe hinab nach. Sie überquerten den Hof und verschwanden in demselben Raum, in dem der Weißgesichtige nach Adilberts Angaben zuvor schon verschwunden war.
»Wo ist er hergekommen?«, flüsterte Hannah dem neben ihr sitzenden Mönch zu.
»Er stand plötzlich hinter mir. Ich hoffe, er hat nicht gehört, was wir gesprochen haben. Wir müssen vorsichtiger sein. Die Wände hier haben buchstäblich Ohren.«
Hannah drehte sich um. Hinter ihr gab es nur eine Lehmwand, die so fest gefügt schien wie alles an diesem Palast. Dennoch hatte der Weißgesichtige plötzlich hinter ihr gestanden. Es gab aber nur den Zugang über die Treppe. Sie hätten ihnalso sehen müssen. Hannah trat zu der Wand und betrachtete sie genau. Sie wurde von vier Holzbalken unterteilt, die gewölbt wie Säulen aus dem Verputz herausragten. Sie drückte gegen den Verputz – nichts geschah. Sie versuchte die Säulen zu drehen – vergeblich.
Sie stemmte sich gegen die Mauer zwischen den Balken des Fachwerks – nichts.
»Es muss einen Zugang geben«, flüsterte sie mehr zu sich selbst. »Wenn wir den Eingang finden würden, könnten wir uns vielleicht ungesehen in diesem Labyrinth zwischen Zimmern und Außenwand bewegen.«
Da stolperte sie unversehens über einen der Ziegel, mit denen der Boden der Balustrade ausgelegt war. Er befand sich in der Nähe der Wand und ragte etwas über die anderen Steine hinaus. Nichts, was dem Auge aufgefallen wäre. Hannah fluchte innerlich über ihre Tollpatschigkeit, doch dann kam ihr ein Gedanke. Mit aller Kraft trat sie auf den Stein, der tatsächlich etwas nachgab. Beinahe wie von selbst schwang das mittlere der fünf zwischen den Balken liegenden Fachwerkfüllungen zurück und gab den Zugang zu einem Gang dahinter frei.
»Ich hab’s!«, stieß Hannah flüsternd hervor. »Kommt!«
Sie schlüpfte hinter die Wand und wartete, bis Bruder Adilbert ihr folgte.
Ein schmaler Gang lag vor ihnen, so finster wie die Hölle selbst. Der Mönch drückte das Lehmfach hinter sich wieder in die Wand. So warteten sie, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
»Der Gang führt bis zu den Zimmern«, sagte Bruder Adilbert. »Ich habe ihn gesehen, als sie ihn gebaut haben. Hinter uns macht er einen kleinen Bogen und dann läuft er hinunter. Aber wohin genau er führt, weiß ich nicht.«
»Wohin sollen wir uns wenden?« Hannahs Herz schlug einenrasenden Takt, der verhinderte, dass sie normal denken konnte. Ihre Lippen waren wie ausgedörrt, und auch ihre Kehle fühlte sich rau an.
»Habt Ihr vorhin gehört? Es hat zweimal gegongt, aber niemand ist gekommen. Offenbar hat man die ›wichtigen‹ Gäste gleich in die Zimmer geführt.« Sie stieß verächtlich die Luft aus.
»Dann besuchen wir erst einmal diese Gäste. Man muss wissen, mit wem man es zu tun hat«, flüsterte Adilbert.
Tastend schlichen sie vorwärts. Hannah überprüfte, ob das Messer, das die Luderin ihr ihrerzeit gegeben hatte, noch an seinem Platz war.
Schließlich kamen sie zu einer Tür. Sie war aus Holz und hatte
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