Fuerstin der Bettler
Dort spielten sie täglich auf. Plötzlich hatte Liss vor Hannah gestanden und die vier jungen Frauen vorgestellt. Flöte, Klangspiel, Drehleier, Trommel sowie Gesang harmonierten ausgezeichnet, wenn auch alles etwas bäuerisch klang. Hannah konnte sich mit ihrer Laute gut einfügen, und Bruder Adilbert war ein regelrechtes Naturtalent. Er würde die Drehleier später an eines der Mädchen abgeben.
Hannah kehrte zu ihrem Platz zurück. Als sie sich wieder umdrehte und über die Balustrade nach unten sah, hätte sie beinahe die Laute fallen lassen. Dort unten stand der Weißgesichtige im Dunkel eines Zugangs am Rande des Hofes. Er blickte zuerst zu den Frauen empor, ließ den Blick dann weiterwandern zu den Balkonen und Zimmern und musterte die Mädchen, die sich im Innenhof zu schaffen machten, aufdeckten und Getränke bereitstellten.
Ein Schauder überlief Hannah. Beim Anblick des Weißgesichtigen wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr zurückkonnte. Sie hatte sich ins Herz dieser unmenschlichen Macht geschlichen, jetzt musste sie die Adern durchschneiden, die diese Macht am Leben erhielten.
Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen, um Kräfte zu sammeln. Sie schickte ein kurzes Stoßgebet zum Himmel, indem sie darum bat, dass ihr Plan aufgehen möge, obwohl er so überstürzt hatte entwickelt werden müssen.
Als sie die Augen wieder öffnete, war der Weißgesichtige verschwunden. Hannah ärgerte sich, weil sie ihn nicht beobachtet hatte.
»Habt Ihr ihn gesehen?«, flüsterte es von der Seite.
Bruder Adilbert stand gleich neben ihr. »Er ist nach hinten in den Raum zurückgegangen. Das ist der Zugang zu den Kellern. Vom Platz her würde das passen. Wir sollten uns einfach mal dort unten umsehen, wenn die Gäste eingetroffen sind.«
Ein heller Gong ertönte. Vermutlich das Zeichen, dass die ersten Gäste eintrafen.
Zwei der Aufwärterinnen eilten mit wehenden Kleidern in Richtung des Hintereingangs. Hannah und Bruder Adilbert reckten neugierig den Hals über die Balustrade und konnten tatsächlich zwei Männer erkennen. Sie trugen Masken. Doch ihre Kleidung war so auffällig, dass die Masken geradezu lächerlich wirkten: Jeder in der Stadt konnte sie allein anhand ihrer bunten Aufmachung erkennen.
»Imhof und Herkomer«, flüsterte Hannah Bruder Adilbert zu. »Beide bekannt durch ihre Eskapaden. Als Herkomer geheiratet hat, musste er Strafe zahlen, weil die Hochzeit gegen die Auflagen der Stadt verstieß: zu viele Hochzeitsgäste, zu pompös, zu teuer. Außerdem hätte die Braut keinen Goldschmuck tragen dürfen und kein Kleid aus Seide. Sie ist schließlich nur eine Bürgerin. Auch er schlug über die Stränge, weil sein Wams mit Hermelinpelz verbrämt gewesen war.«
»Das Vorrecht der Könige und Kaiser«, ergänzte der Mönch. »Natürlich, Bruder Adilbert. Aber Herkomer hat es mit einem Schulterzucken hingenommen und seine Strafe bezahlt. Man munkelt, er hätte das Geld durch den Schmuggel von Waren an den Toren vorbei wieder hereingeholt. Geholfen hat ihm dabei ...«
»Lasst mich raten: Aigen?«, ergänzte Bruder Adilbert.
Hannah nickte bitter. »Die beiden sind seit Jahren berüchtigt als Jungfrauenschänder. Obwohl sie verheiratet sind, heben sie jeden Rock, der in ihre Nähe kommt.«
Der Gong ertönte jetzt in schöner Regelmäßigkeit, und das Haus füllte sich. Zwanzig, fünfundzwanzig Männer standen im Innenhof und unterhielten sich. Alle mit Masken vor dem Gesicht. Zweimal hatte der Gong geläutet, und niemand war im Innenhof erschienen. Die Aufwärterinnen waren ohne einen männlichen Gast zurückgekommen. Die Erklärung dafür war wohl, dass diese Besucher sofort über Geheimtreppen und Geheimgänge in ihre Zimmer geführt worden waren. Hannah konnte nur ahnen, wer das gewesen war, vielleicht der Nuntius aus Rom, der sich in Dillingen beim Bischof von Augsburg gelangweilt hatte, und hoffentlich der Stadtpfleger Stolzhirsch. Beiden hatte sie eine besondere Rolle zugedacht, von der die Herren noch nichts wussten.
Das Stimmengewirr unten schwoll an, sodass der Musik immer weniger Beachtung geschenkt wurde. Hannah legte die Laute beiseite und drehte sich zu Bruder Adilbert um.
»Wir sollten uns jetzt etwas umsehen«, flüsterte Hannah.
Als sie sich erhob, um vom Musikerbalkon zu verschwinden, stand die Luderin neben ihr.
»Ich komme mit«, sagte sie beiläufig.
Noch bevor Hannah etwas einwenden konnte, stand der Weißgesichtige auf der Balustrade. Niemand hatte ihn kommen hören.
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