Fuerstin der Bettler
Scheusal von Aigen das Handwerk zu legen.«
»Aigen!«, wiederholte Gallina, als hätte sie diesen Namen zum ersten Mal gehört.
Hannah deutete mit einer Kopfbewegung an, dass sie hier nicht länger bleiben konnten. Sie tasteten sich die Treppe hinab und kamen in einen Vorraum, von dem aus ein Gang für die Zimmer im Erdgeschoß abging. Im hintersten Winkel gähnte ein Loch.
Als Hannah den Blick dorthin richtete, wich Gallina zurück.
»Nein«, hauchte das Mädchen. »Nein!«
»Seid ihr von dort gekommen!«, fragte sie Gallina. Hannah bemerkte, wie sich in den Augen des Kindes die Tränen sammelten. Gallina schüttelte den Kopf und sackte in sich zusammen. So, mit angezogenen Beinen, blieb sie in der Ecke sitzen.
»Das ist der Zugang für den Gang unter dem Innenhof hindurch«, sagte der Mönch. »Ich habe gesehen, wie sie ihn gegraben haben. So können die Kinder ungesehen vom Lusthaus hierher gebracht werden.«
Gallina deutete nur auf den Zugang und schüttelte entsetzt den Kopf. »Nein«, murmelte sie, »nein, nein, nein!«
»Heißt eins von den Mädchen Gera?«, entfuhr es Hannah heiser.
Überrascht blickte das Mädchen auf. »Gera? Ja. Gera ist dabei.«
»Werdet Ihr bewacht?« Hannah Stimme zitterte. Gera lebte also.
»Wie viele Männer sind es?«, fragte nun Bruder Adilbert. Er blickte Hannah an, und in seinem Blick lag ein Vorwurf, der sie schmerzte: Warum hast du das Kind befreit? Jetzt behindert es uns nur. Jetzt weiß es zudem, dass wir nach Gera suchen.
»Wir können sie nicht hierlassen!«, sagte der Mönch. »Wir werden sie aber auch nicht mitnehmen können.«
»Zwei. Ohne den Weißfuchs«, flüsterte Gallina stockend. »An dem Weißfuchs kommt niemand vorbei. Wer flieht, ist tot.« Den letzten Satz hauchte sie, dann senkte sie den Kopf.
Hannah überlegte fieberhaft.
»Die Schwarze Liss!«, sagte sie schließlich. »Wir müssen auf die Schwarze Liss warten.«
Sie wusste nicht genau, wie spät es war, aber sie hatten mit der Schwarzen Liss abgesprochen, dass sie, zwei Stunden nachdem die Musikanten im Palast verschwunden waren, an das Tor klopfen und im Namen der Luderin neue Frauen bringen würde. Sie würde also bald auftauchen. So lange musste das Kind verschwinden. Aber wohin sollten sie es bringen, wenn es nicht beiihnen bleiben konnte? Hannah ließ sich auf die Knie nieder und sah dem Mädchen ins Gesicht.
Das Kind hatte den Blick gesenkt und weinte.
»Wir beschützen dich!«, sagte Hannah. »Aber du musst mitkommen.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. In ihren Augen wuchs ein Grauen, das Hannah wegblicken ließ. Was um alles in der Welt hat das Mädchen nur erlebt? Hannah ließ ihren Blick auf dem Kind ruhen, während sie darüber nachdachte.
Stimmen näherten sich. Das Kichern einer jungen Frau mischte sich mit dem Bass eines Mannes. Allein am Tonfall konnte Hannah hören, dass die beiden eine ruhige Ecke suchten, um Zärtlichkeiten auszutauschen. Dass sie dafür den Geheimgang benutzten, war unwahrscheinlich. Vermutlich würden sie sich in eines der Zimmer zurückziehen, das man von außen betrat.
Sie konnten Gallina nicht zurückschicken, auch wenn sie nicht mit ihnen kommen wollte. Würde sie im Zimmer des Nuntius gefunden, wäre das ihr Ende. Es gab in Hannahs Augen keinen anderen Ausweg. Sie mussten Gallina mitnehmen.
Ihr Blick wurde hart, als sie erneut versuchte, die Schale aus Abwehr zu durchbrechen, die Gallina umgab.
»Du musst uns begleiten, sonst finden sie dich in den Gängen. Wir können dich nur beschützen, wenn du uns hilfst. Ich muss Gera finden. Zeig mir, wo sie ist.«
Während sie auf Gallinas Antwort wartete, horchte sie auf die Stimmen, die immer näher kamen und tatsächlich das erste Zimmer belegten, das sie fanden.
Sie erkannte den Mann an der Stimme. Es war die des Stadtpflegers Heinrich Stolzhirsch, des Bürgermeisters. Sein näselndes Sprechen war unverwechselbar. Die junge Frau lachte, während sich der Mann benahm, als wäre er auf Brautschau. Er prahltevon seinen Reisen nach Venedig, erzählte, wie er auf einer dieser Fahrten eigenhändig einen Räuber gefangen und am nächsten Baum aufgeknüpft habe, erntete dafür ein leises Kreischen.
Hannah kannte den Bürgermeister Stolzhirsch, weil dessen Frau häufiger bei ihr erschienen war und um ein kräftigendes Mittel für ihren Mann nachgesucht hatte. Hannahs Mann, dem Apotheker, hatte sie ihr Problem nicht anvertrauen wollen. Hannah hatte es weitergegeben – und das Mittel, das ihr Mann
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