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Fuerstin der Bettler

Fuerstin der Bettler

Titel: Fuerstin der Bettler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Dempf
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vornübergebeugt, als trüge er die Last der Welt auf den Schultern. Er ließ die Tür hinter sich zufallen und schlurfte zum Altar.
    Das Mädchen war verstummt, als habe es diese Erscheinung erwartet.
    »Da bist du ja!«, hörte sie den Mann sagen. »Komm mit.«
    Offenbar widerspruchslos erhob sich die Kleine, schniefte und folgte dem Mann zurück zum Eingang. Als der Kerl die Seitentür öffnete, fiel ein Lichtfinger auf das Mädchen. Sie war hellblond und mit einem dünnen grünen Rupfen bekleidet, der gerade ihre Blöße bedeckte. Ihr Körper war spindeldürr, und doch zeichneten sich erste weibliche Formen ab. Das Mädchen war nicht mehr Kind, aber noch nicht ganz Frau. Ein Zwischenwesen, dachte Hannah, das später unter der Mühsal des Frauenlebens und der Mutterschaft verschüttet werden würde. Die schmale, sehr gerade Nase war das Einzige, das im schwachen Licht von dem Gesicht zu sehen war.
    Dann schlug die Tür zu, und sie waren wieder allein. Erst jetzt bemerkte Hannah, dass die Schwarze Liss sie noch immer am Arm festhielt und ihr Handgelenk umklammerte.
    »Was war das?«, flüsterte Hannah.
    »Das willst du lieber nicht wissen«, hauchte die Schwarze Liss – und doch klang es in der Stille der Kapelle, als würde sie schreien. Die Bettlerin ließ Hannah los, stand auf und ging zur Kapellentür.
    Hannah folgte ihr. Sie wollte nicht allein in der Kapelle zurückbleiben, weil etwas Bedrohliches in ihr zurückgeblieben war, das sie frösteln machte. Sie wollte auch nicht dem Mann und dem Kind in das Finstre Grät hinaus folgen, weil es dort draußen in der hereinbrechenden Dämmerung noch unheimlicher sein würde.
    Vor der Kapelle war es noch ein wenig hell. Heller, als in der Kapelle zu vermuten gewesen war.
    Nicht nur die Helligkeit empfing sie überraschend, auch der Geruch. Im Kapellenraum hatte es nach Weihrauch und nach Heiligkeit geduftet, hier draußen stank es nach Fäkalien und nach Gewalt.
    Hannah wunderte sich, dass sie diesen Unterschied erst jetzt so deutlich wahrnahm. Die Dinge wurden deutlicher, wenn man sie direkt miteinander vergleichen konnte. Jakob hatte einmal gesagt, wenn er nach einem neuen Einfall suche, dann müsse er alles, was ihn sonst immer umgebe, verlassen. Wer sich immer in denselben Umständen aufhalte, könne die Brüche darin nicht mehr erkennen.
    »Du musst zu Heilig-Kreuz rüber, Röttel«, riss die Schwarze Liss sie wieder aus der Welt, in der sie sich gerade verloren hatte.»Wir treffen uns danach vor dem Fledermausturm. Du solltest nicht allein in den Turm reingehen. Warte auf mich. Und schau, dass du zumindest eine Münze ergatterst, sonst schlafen wir heute Nacht auf der Straße. Ach ja: Vergiss nicht, du hockst auf der zweiten Stufe. Lass dir den Platz nicht wieder wegnehmen.«
    Offenbar hatte es die Schwarze Liss eilig wegzukommen. Ohne sich noch einmal nach Hannah umzudrehen, lief sie in Richtung Domtor und hinunter zur Innenstadt.
    Hannah sah ihr eine Weile nach, dann richtete sie sich auf und schaute um sich. Niemand nahm Notiz von ihr. Die Geistlichen, die die Straße hinauf und hinunter eilten, weil sie zur Kaufleutestadt hinauswollten oder von dort kamen, sahen sie nicht einmal an. Jetzt war sie endgültig zur Röttel geworden. Sie sah an sich hinab und sah eine der Stadtarmen, in Lumpen gehüllt, die ihre Bresthaftigkeit zur Schau stellte und die dafür Almosen einforderte, weil Reichtum Mildtätigkeit verlangte.
    Langsam setzte sie sich Richtung Westen in Bewegung. Sie ging an der Mauer der Bischofsstadt entlang bis zum Kreuztor und schlüpfte durch das Binnentor hindurch und auf den Zuweg zu Heilig Kreuz hinaus. Außer ihr selbst war keine Menschenseele mehr auf der Straße. Als wäre die Stadt ausgestorben. Dabei saßen die Menschen nur bei sich zu Hause und aßen. Aus den Fenstern der Häuser der kaiserlichen Pfalz, an denen sie entlanggestrichen war, war der Lärm der gemeinsamen Familienmahlzeiten gedrungen und hatte sie ausgeschlossen. Hannah musste schlucken, als ihr klar wurde, dass es solch ein Zusammensein für sie nicht mehr gab.
    Die Fassade von Heilig Kreuz ragte vor ihr auf, dunkel und düster wie alle Kirchen, mit dem ganz eigenen grauen, roh behauenen Stein, wie er für die Gotteshäuser vorgesehen war, die ehemals außerhalb der Stadtmauer gelegen hatten. Ihr Mann hatte schon immer die Nase gerümpft und über die Wallfahrt»Bluthostie« gespottet, dem »wunderbarlichen Gut«, zu dem die Kranken pilgerten und das sie um Heilung

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