Fuerstin der Bettler
anflehten.
Sie hockte sich vor das Tor. Viel erwartete sie sich nicht von diesem Ort, denn die Augustinerchorherren, denen die Kirche und das dahinterliegendes Spital gehörten, hatten sich zwar der Seelsorge im Spital und der Betreuung der Wallfahrt verschrieben, nicht aber dem Almosenwesen.
Hannah musste nachdenken, darüber, was sie tun sollte, ob sie in der Stadt bleiben sollte, darüber, dass sie für tot galt, über die drei Leichen in den Trümmern der niedergebrannten Apotheke.
Warum drei Leichen? Wer war der dritte Tote, den man in den Trümmern der Apotheke gefunden hatte? Aber warum kümmerte sie das überhaupt noch? Es war doch so, dass die drei Toten sie aus dem Leben ausschlossen. Weil es diese drei Toten gab, gab es keine lebende Hannah Meisterin mehr. Und weil sie nichts vorweisen konnte, was sie als Frau des Apothekers Meister auswies, konnte sie auch nicht darauf hoffen, dass sie zu ihrem Recht kommen würde. Vor allem nicht als Frau. Sie wusste sehr wohl, was mit Frauen geschah, die sich ihr Recht zu nehmen versuchten: Sie wurden aus der Stadt gewiesen.
Langsam sammelten sich die Stadtarmen um das Portal des Gotteshauses. Sie hockten sich zu beiden Seiten des Eingangs nieder. Hannah hatte sich auf die zweite Stufe gesetzt, so wie die Schwarze Liss ihr geraten hatte, und niemand machte ihr diesen Platz streitig. Das Blechabzeichen der Stadtarmen machte sie zur Röttel.
Den Bär von Mann sah sie schon von Weitem. Er hatte feuerrotes Haar, das ihm wie ein wilder Busch vom Kopf abstand. Es leuchtete selbst ohne Sonne. Sein Schritt hatte etwas Ausgreifendes, und der Mantel, den er offen trug und der hinter ihm herwehte, reichte ihm bis zu den Fußknöcheln und war aus schwerem Loden und völlig verdreckt und abgeschabt. Nur dasrote Wams darunter leuchtete, obwohl es ebenfalls stark verdreckt war. Und seine Hände steckten in diesen leinenen Handschuhen, die nur die Fingerspitzen freiließen.
Ein Wispern lief durch die bettelnde Menge vor der Kirche. Hannah hatte das Gefühl, als würden alle zusammenrücken, um dem Kerl keinen Platz dazwischen zu gewähren. Doch zugleich fragte sie sich, wer ihm diesen Platz wohl verwehren konnte?
In der Kirche erklang das melodische Singen der Chorherren, die mit ihren Stimmen Christus hochlobten. Es war, als würde sich einen Augenblick lang eine Decke aus der warmen Innigkeit des Glaubens über die Bettler legen.
Doch diese Empfindung verging jäh, als der Rothaarige schließlich vor die Kirche trat.
Mit einer Stimme, die auf die Sitzenden niederging wie ein Gewitter, forderte er einen Platz in der vordersten Reihe. Alle sahen weg, alle rückten näher zusammen, sodass ein einziges Knäuel aus Leibern entstand. Doch der Kerl packte eine Frau und einen Mann mit raschem Griff am Kragen und zog sie aus der Menge, als wären sie Säcke. Und mit ebenso großer Gleichgültigkeit stieß er sie zu Boden. In die entstandene Lücke stellte er sich, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Er musterte die zweite Reihe, sein Blick und der von Hannah trafen sich. Schon ließ der Rote die Hand auf Hannah niedersausen – doch die biss zu.
Ein Stöhnen lief durch die vor der Kirchentür Versammelten, als hätte sie einen Frevel begangen. Der Kerl zuckte mit der Hand zurück, betrachtete verblüfft die Bisswunde und richtete dann den Blick wieder auf Hannah.
»Was soll das, Weib?«, blaffte er Hannah an.
»Ich bin kein Weib, ich bin die Röttel!«, keifte Hannah zurück.
Der Rote schüttelte sich, als könne er nicht recht verstehen, was Hannah da gerade gesagt hatte.
»Die Röttel?«
»Ja, kein Weib.«
»Oh, ja dann, verzeiht.« Blitzschnell packte der Rote zu, packte Hannah am Kragen und zerrte sie aus der Menge. Mit der anderen Hand versetzte er ihr eine Ohrfeige, sodass sie glaubte, die Wandlung im Inneren der Kirche hätte bereits begonnen und die Schellen würden geläutet. Dann versetzte er ihr einen so heftigen Stoß, dass sie gegen die gegenüberliegende Hausmauer taumelte und sich heftig den Kopf anstieß.
Hannah spürte, wie sich auf ihrem fast kahlen Schädel eine klebrige Flüssigkeit ausbreitete: Blut.
»Lass dir den Platz nicht wieder wegnehmen«, hatte die Schwarze Liss gesagt. Genau darum wollte sie jetzt kämpfen. Sie brauchte den einen Heller. Sie wollte nicht im Freien schlafen müssen.
Sie rappelte sich auf und starrte den Roten an, der sich auf ihren Platz gesetzt hatte, als wäre nichts geschehen.
»Hau ab!«, schrie Hannah. »Hau ab von meinem
Weitere Kostenlose Bücher