Fuerstin der Bettler
übertrieben. Doch nun war sie besudelt mit verfaultem Gemüse und schimmeligem aufgeweichten Brot. Und aus dem Unrat heraus und über dem rosa Schweinerüssel glühten ihre grünen Augen vor Hass.
Hannah wollte sich gerade zu der Bettlerin hinabbeugen, als sich zwei Büttel der Stadt vordrängten und sie beiseiteschoben. Offenbar hatte die Luderin ihre Strafe abgebüßt.
»Wenn du noch einmal den Herrn Aigen oder andere Mitglieder des Rats verunglimpfst, indem du unwahre Behauptungen von dir gibst, werden wir dich brandmarken«, zischte einer der Büttel ihr zu.
Sie rissen ihr die Ohren vom Kopf und nahmen ihr die Schnauze ab. Dann schlossen sie die Handschellen auf, mit denen sie kniend am Boden festgemacht war.
Die Menge zerstreute sich, bis nur noch Hannah übrig blieb. Die Luderin kniete da, den Kopf gesenkt, mit keuchendem Atem.
»Darf ich dir helfen?«, fragte Hannah sanft.
Die Luderin hob langsam den Kopf und sah Hannah von unten her an. Dann streckte sie ihr die Hand entgegen.
»Zieh mich hoch.«
Hannah zog, und die schwere Frau erhob sich mühsam, so als hätte sie Schmerzen in Knien, und rieb sich die Handgelenke, an denen von den Eisen rote Striemen zurückgeblieben waren.
»Du brauchst also Arbeit?«, fragte die Luderin, kaum dass sie stand. »Wenn deine Larve wieder aussieht wie die einer Frau, kannst du zu mir kommen.« Sie wischte sich Speichelfäden und das blutige Fett der Schweineschnauze aus dem Gesicht. »Saubande!«, murrte sie halblaut. »Einerseits brauchen sie einen, andererseits verachten sie uns.«
»Ich will nicht für dich arbeiten«, sagte Hannah. »Ich will dich etwas fragen.«
Abschätzig musterte die Luderin Hannah von Kopf bis Fuß. Dann zog sie geräuschvoll die Nase hoch und spuckte den Schleim auf die Straße. »Da bist du bei mir an die Falsche geraten. Ich beantworte grundsätzlich keine Fragen. Das gehört zu meiner ... Tätigkeit.«
Die Luderin drehte sich um und stapfte davon. Sie bewegte sich langsam und schwerfällig.
Hannah folgte ihr trotzig in kurzem Abstand. Von der schroffen Art der Luderin würde sie sich nicht vertreiben lassen. Auch eine Lektion, die sie inzwischen gelernt hatte. »Wo willst du hin?«, fragte sie und lief neben der Luderin her. Den fauligen Geruch der besudelten Kleidung zog die Luderin hinter sich her wie eine Fahne.
»Ich brauche niemanden. Ich komme gut allein zurecht.« Wieder spuckte die kräftige Frau aus.
»Wenn es tatsächlich so wäre, dann würdest du jetzt nach Hause humpeln«, versetzte Hannah.
Die Luderin blieb stehen, baute sich vor Hannah auf und atmete tief ein. Hannah erwartete eine Schimpftirade oder ein ähnliches wortreiches Unwetter, doch nichts dergleichen geschah. Der Gestank hüllte sie beide ein und ließ sie gleichzeitig die Nase rümpfen. Dann lachte die Luderin so, dass ihr Bauch und ihr riesiger Busen bebten.
Doch gleich darauf wurde sie mit einem Mal ernst. »Ich habe schon lange kein so unerschrockenes Weib mehr erlebt. Also, was willst du von mir?«
»Ich weiß, du warst auf dem Brandplatz beim Stephinger Tor«, begann Hannah zögernd. Sie wusste nicht recht, wie viel sie verraten durfte, ohne sich selbst zu verraten.
»Es ist verboten, dort zu sein.« Die Luderin blickte sie lauernd an. »Der Platz ist bewacht.«
»Nehmen wir an, du hättest das Verbot nicht gesehen und wärst – zufällig – doch dort gewesen. Wie viele Menschen sind dort verbrannt?«
Plötzlich packte die Luderin Hannah am Arm und zerrte sie von der Straße weg. Sie ließ Hannah auch nicht los, als sie sich in die Wintergasse begaben und von dort aus über den schmalen Durchgang beim Hunoldsberg in die Altstadt hinuntergingen. Erst als sie die Hochterrasse hinter sich gelassen hatten und ihnen die stete Feuchtigkeit der Unterstadt in die Lungen drang, blieb die Luderin stehen, völlig außer Atem und verschwitzt. Sie wischte sich mit ihrer schmutzigen Hand übers Gesicht, bevor sie redete.
»Bist du von Sinnen?«, fragte sie barsch.
»Warum?« Hannah sah sie herausfordernd an. »Macht man sich schon strafbar, wenn man dich etwas fragt?«
»Unsinn. Es kommt darauf an, was man mich fragt«, antwortete die Luderin unwirsch.
Hannah hob die Augenbrauen und bedeutete damit, dass sie nicht recht wusste, was die Luderin damit sagen wollte.
»Weißt du, warum sie mich zur Sau gemacht haben?«
Hannah schüttelte den Kopf. Woher sollte sie das auch wissen.
»Weil ich einem meiner ... Kunden ... eine Frage gestellt habe. Eine
Weitere Kostenlose Bücher