Fuerstin der Bettler
klopfte dreimal kurz und zweimal lang. Es dauerte eine Weile, dann wurde das Tor geöffnet.
»Mein Reich«, sagte sie und lud Hannah mit einer großen Geste in das Haus ein.
Hannah zögerte kurz, schließlich wusste sie nicht, wie weit die Freundschaftlichkeit dieser Frau wirklich ging. Es konnte ebenso gut eine Falle sein, und sie würde diese Schwelle nie mehr überschreiten.
12
D ie Luderin hatte sich in Hannahs Beisein von einer ihrer Frauen entkleiden lassen und lag jetzt in einem Zuber, der ihre unförmigen Maße gerade so fasste. Während eine Magd die Kleider in einem Bottich wusch, rieb eine zweite Baderin die Bettlerin ab, und eine dritte kümmerte sich um deren Haar. Sie entfernte die farbigen Bänder daraus, goss warmes Wasser über die schwarzen Locken und reinigte sie behutsam mit einem Kamm. Bald hüllte ein Dunst aus Wasserdampf und feinen Ölen sie ein. Die ganze Zeit über wurde kein Wort gesprochen.
Ein anderes Mädchen kümmerte sich um Hannah. Sie säuberte die blutverkrustete Lippe und kühlte mit einem Lappen das Auge. Allmählich konnte Hannah das Auge wieder öffnen. Und sie konnte etwas sehen. Das Auge war unversehrt geblieben.
»Wer hat dich so zugerichtet? Du hast ja überall blaue Flecken. Bist wohl einem ›Beschützer‹ in die Hände gefallen!«
Hannah antwortete nicht. Was sollte sie auch sagen? Sie hatte genug damit zu tun, ihre schmerzenden Stellen zu ignorieren. Schließlich brachte ein Mädchen, das kaum älter als vierzehn Jahre sein mochte, ein Brett mit Brot und Käse. Sie war ungefähr so alt wie Gera, ihre Tochter, und Hannahs Augen füllten sich mit Tränen, als sie die Kleine sah. Sie war froh, dass ihr Gesicht feucht war vom Dampf im Raum und dass ihre Tränen so nicht auffielen. Mit einer energischen Geste wischte sie sich über das Gesicht.
Das Essen war das Zeichen für die Baderinnen, die Luderin und ihren Gast allein zu lassen.
»Warum willst du die Röttel sein?«, fragte die Luderin.
»Wollen? Von Wollen kann keine Rede sein. Ich muss ... Die ... die andere ... ist tot ...«
Hannah brach ab. Das kurze Leben auf der Straße hatte Misstrauen in ihr gesät. Sollte sie ihr Schicksal jedem erzählen, der sie mit ein wenig Wohltat köderte? Nein, erst musste sie die Luderin besser kennenlernen. Außerdem ließ der Gedanke sie schaudern, der Brandstifter könnte erfahren, dass sie noch lebte.
Die Luderin beobachtete sie aus ihrem Zuber heraus scharf. Nicht das leiseste Mienenspiel, nicht die kleinste Bewegung entging ihr. Hannah hatte das Gefühl, vor diesem Blick ebenso nackt zu sein wie die Luderin in ihrem Bad.
Die Luderin nickte, als würde sie die Unterbrechung richtig deuten und verstehen. »Ich will dir etwas erzählen«, begann die Bettlerin dann, die in Hannahs Augen so gar keine mehr war. »Weil deine Augen so einen ehrlichen Blick haben. Ich habe mich in solchen Dingen noch selten getäuscht – und dort, wo ich falschgelegen habe, haben es diejenigen, die mich hintergangen haben, längst bereut.«
Hannah schluckte. Dann stammelte sie: »Ich ... ich hintergehe dich nicht ... ich will nur wissen ...«
»Es waren drei Leichen«, sagte die Luderin leise. »Ich habe sie gesehen. Zwei Männer und eine Frau.«
In Hannahs Kopf dröhnte der letzte Satz wie der Schlag einer Glocke. Ihr Blick verschwamm, und das Zimmer schwankte leicht. »Zwei ... Eine ...«, stammelte sie. »Aber das ... es ist unmöglich.«
»Warum?«, fragte die Luderin und nahm sich von dem Brot und dem Käse. Mit einer Handbewegung lud sie Hannah zumEssen ein, doch die verspürte mit einem Mal keinen Hunger mehr.
»Die Familie des Apothekers ... das Ehepaar hatte ein ... ein Mädchen ...« Sie war nicht mehr in der Lage, weiterzusprechen. Ihre Unterlippe bebte.
Während Hannah ins Leere starrte, fuhr die Luderin fort zu essen, und zwischen den einzelnen Bissen murmelte sie: »Die beiden Männer waren ineinander verkrallt. Ein Regal oder etwas Ähnliches war auf sie gefallen und hat sie vermutlich erschlagen.«
Hannah richtete den Blick auf die Bettlerin. Sie dachte an die Brandnacht zurück. Ein umstürzendes Regal! In ihrem Kopf lief das Unglück noch einmal ab – bis zu dem Augenblick, als sie das Geräusch aus dem Untergeschoss gehört hatte, ein Scheppern, ein Zerbersten von Flaschen und Tiegeln. Natürlich! Eines der Regale war umgestürzt und hatte zwei Männer unter sich begraben: ihren Mann ... und wen noch?
»Die Frau«, flüsterte sie. »Wie sah die Frau
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