Fuerstin der Bettler
einfache Frage. Dafür musste ich vier Stunden auf dem Boden knien, mir diese Drecksnase umbinden und mich mit faulem Gemüse bewerfen lassen.«
»Welche Frage denn?« Hannah schüttelte ungläubig den Kopf. Dass man bestraft wurde, weil man eine Frage stellte, konnte Hannah sich nicht vorstellen.
»Jetzt hör genau zu, meine rotgesichtige Unbekannte. Ich werde dir das nicht beantworten! Schluss – und jetzt verschwinde.«
Hannah schüttelte wieder den Kopf. »Ich werde nicht verschwinden. Nicht, solange ich keine Antwort erhalten habe.«
»Wer bist du, dass du glaubst, mich umstimmen zu können?«, blaffte die Luderin sie an.
Hannah hatte das Gefühl, als würde eine gewisse Bewunderung für ihre Hartnäckigkeit in der Stimme mitschwingen.
»Ich bin die Röttel!« Selbstgewiss nannte sie ihren Bettlernamen.
Verblüfft betrachtete die Luderin Hannah von oben bis unten, bis sie auf einmal wieder herzhaft zu lachen begann.
»Weib. Du magst mich für blöd halten, aber das bin ich nicht.« Als die Luderin bemerkte, dass ihre laute Stimme hinter den ersten kleinen Seitenfenstern Bewegung auslöste, zerrte sie Hannah weiter. Niemand bewegte sich hier unten in der Handwerkerstadt ungesehen und ungehört.
Erst zwei Straßen weiter blieb sie wieder stehen und wandte sich zu Hannah um. »Du bist alles, Frau – nur nicht die Röttel.« Mit einer Handbewegung wischte sie die Erwiderung, die Hannah schon auf den Lippen hatte, beiseite. »Es ist mir auch egal, warum du die Röttel sein willst. Ich will nur wissen, wer dich schickt.«
Erstaunt antwortete Hannah: »Niemand. Wer sollte mich denn schicken?«
Wieder erfolgte eine Musterung, als müsste die Luderin sie für teures Geld kaufen. Ihr Blick wanderte von den Füßen bis zum Scheitel, ruhte lange auf Hannahs Händen und wanderte über deren Schoß und deren Brüste zurück zum Gesicht. Zuletzt drehte sie Hannahs Hände um und besah sich die Handflächen.
»Jetzt sage ich dir einmal, was ich sehe. Du brauchst vorerst nur den Kopf zu schütteln, wenn es nicht stimmt.«
Sie gingen weiter zum Kloster der Beginen und blieben dort wieder stehen. Es waren kaum Menschen in der Straße unterwegs, und wenn, dann waren es Fremde, die zum Roten Tor hinaus und in Richtung Süden wollten.
»Du bist in den letzen Wochen einem Feuer etwas zu nahe gekommen, einem großen Feuer. Das ist nicht schwer zu erraten. Wenn ich nachdenke, dann hat es nur zweimal in den letzten sechs Wochen so stark gebrannt, dass das geschehen konnte: auf dem Scheiterhaufen vor der Stadt und beim Haus des Apothekers. Da ich nicht glaube, dass du den Bütteln vom Scheiterhaufen gesprungen bist, wird es wohl der Apothekenbrand gewesen sein.«
Die Luderin sah Hannah herausfordernd an, und die kam nicht umhin, den Scharfsinn der Frau zu bewundern. Hannah schwieg, und die Dicke nickte beifällig.
»Wenn ich mir deine Hände ansehe«, fuhr die Luderin ungerührt fort, »erkenne ich, dass du in den letzten Jahren nicht allzu viel gearbeitet haben kannst. Sie sind immer noch weich und ohne Schrunden und Risse. Auch findet sich keine Narbe auf dem Handrücken oder in den Handinnenflächen. Du stammst aus gutem Hause, nicht von der Straße«, spottete die Luderin. Dann setzte sie etwas hinzu, was Hannah traf wie eine Ohrfeige. »Du bist entweder die Apothekerin selbst, obwohl ich die nie gesehen habe, oder deren Tochter.«
Die Luderin verschränkte die Arme vor ihrem mächtigen Busen. »So, jetzt erzähl mir, wer dich geschickt hat.«
Hannah konnte kaum atmen, so verblüfft war sie über das, was die Luderin da messerscharf geschlossen hatte. Sie besah ihre Hände und musste zugeben, dass die Hübschlerin vor ihr recht hatte.
»Ich ... ja ... äh ...«, stotterte sie. »Äh ... niemand ... ich meine nur, die ... die Schwarze Liss ... sie hat gesagt ... hat mir erzählt ...«
»Die Liss?«, unterbrach die Luderin Hannah. »Das Weib kann ihr Maul auch nicht halten.«
»Ihr habt recht ... völlig recht ... ich bin ... ich war ... ach, verflucht, ich weiß selbst nicht mehr, ob ich noch die Apothekerin bin oder schon die Röttel ...«, entfuhr es Hannah.
Die Bettlerin legte ihr die Hand auf die Schulter. Rasch blickte sich die Luderin um. »Wir gehen an einen Ort, an dem wir uns wirklich ungestört unterhalten können. Bis dahin ...« Sie legte den Zeigefinger auf den Mund.
Die Luderin bog nach links ab und steuerte die Unterstadt an. Vor einem breiten Handwerkerhaus blieb sie stehen. Sie
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