Fuerstin der Bettler
denn geredet? Das interessiert mich doch.« Die Bettlerin reckte herausfordernd das Kinn.
Hannah wusste, dass Gerüchte unter dem einfachen Volk das waren, was Vertrauen und guter Leumund unter den Kaufleuten waren.
»Hört euch um, dann werdet ihr es erfahren. Und jetzt nimm den Stock aus dem Spalt.«
»Den Teufel werd ich tun, Karl. Außer du rückst mit der Sprache heraus.«
»Nun. Wenn du willst. Sie sagen, dass ihr eine Spur des Todes hinter euch herzieht. Zuerst versucht ihr den Roten abzustechen, dann kommt euch das Mädchen im Graben in die Quere – und ...« Der Dürre Karl macht eine eindeutige Bewegung mit der Hand quer über den Hals. Dann versuchte er mit dem Fuß den Stock aus der Lücke zu drücken, doch die Schwarze Liss stieß zu, traf ihn auf die Zehen, und der Kerl stöhnte auf vor Schmerz.
»Alles Lüge!«, herrschte die Schwarze Liss ihn an. Mit einem Seitenblick auf Hannah verhinderte sie, dass diese etwas sagte.
»Ihr kommt nicht rein.«
»Verflucht, Kerl. Sag mir das, wenn du wieder einmal einen Bedarf hast!«, knurrte die Bettlerin und drehte sich weg.
Hannah trat noch einmal auf das Tor zu. Vielleicht gelang es ja ihr, den Dürren Karl umzustimmen. Auch wenn sie nicht in den Turm wollte; noch weniger geheuer war ihr der Platz beim Lueginsland.
Sie ließ die Schwarze Liss vorbei und trat ans Tor, das noch nicht wieder geschlossen war.
»Lasst uns ein, Karl«, wollte sie sagen, doch so weit kam sie nicht. Der Arm des Dürren schnellte heraus, seine riesige Hand packte Hannah am Handgelenk – und ehe sie sichs versah,wurde sie mit einem Ruck ins Innere gerissen. Die Wucht, mit der sie hineingezogen wurde, schleuderte sie bis ans andere Ende des Raums. Dort prallte sie unsanft gegen die Ziegelwand. Dann hörte sie, wie die Tür sich schloss und wie ein Riegel vorgelegt wurde. Hannah war zu benommen, als dass sie genau wusste, was vor sich gegangen war, doch allmählich dämmerte ihr, dass der Dürre Karl sie in seiner Gewalt hatte.
Dumpf hörte sie jemanden gegen das Tor pochen und ihren Namen rufen. Doch den Dürren Karl kümmerte das alles nicht. Langsam ging er auf Hannah zu.
»Da wird sich jemand freuen, Röttel«, sagte er.
Das Innere des Turms war düster, doch der Gesichtsausdruck des Dürren Karl war unmissverständlich. Wie gebannt starrte sie auf die Hände des Turmbetreibers, die sich an dem Strick zu schaffen machten, der anstelle eines Gürtels die Hose hielt.
»Was willst du?«, fragte Hannah leise und wusste natürlich sofort, was er wollte.
»Jedenfalls nichts von der Schwarzen Liss. Die lassen wir schön draußen«, stieß der Dürre Karl hervor. »Sie ist mir – na sagen wir – zu wenig umgänglich. Den Roten beinahe ins Jenseits zu schicken. Ts, ts, ts. Wer tut denn so was? Da ist mir die Sanftmütige lieber.«
Hannah kannte dieses Vorgeplänkel. Es war das Auskosten der Macht über eine Frau. Es war dieser Moment, in dem ein Mann sich an seiner Allmacht berauschte.
Hannahs linkes Bein begann zu zittern. Sie musste nach hinten greifen und sich an der Wand abstützen, weil sie nicht mehr allein stehen konnte. Eine Hitze lief ihr über den Rücken und brannte sich in ihren Unterleib.
»Nein!«, flüsterte sie. In diesem »Nein« lag nicht nur ihre Angst, die sich aus der Erfahrung mit dem Roten speiste, sondern ebenso eine Warnung. Eine nicht zu überhörende Warnung.
»Fass mich nicht an«, zischte sie, und auch ihre Stimme zitterte. Es klang unsicher, angstvoll und wenig überzeugend. Ihr Befehl entlockte dem Dürren Karl nur ein Grinsen, das seine Zahnlücken zeigte.
»Wir werden uns verstehen, Röttel«, sagte der Kerl und trat noch einen Schritt näher, die Hose am Bund zusammenraffend.
Hannah konnte nicht anders, sie musste auf diese Hose starren, auf die Faust, die den Stoff festhielt, auf die schmutzigen Knöchel, die weiß hervortraten. Jeder Schritt, den er näher kam, schwemmte Bilder in ihr hoch und ließ sie verkrampfen. Ihre Beine zitterten, ihre Hand wurde feucht, und plötzlich spürte sie das Futteral am Handgelenk und tastete unwillkürlich nach dem Messer, das sie immer noch in einer Scheide am Handgelenk trug wie ein Armband. Zuerst zuckte sie zurück, doch da roch sie schon seinen fauligen Atem.
Sie musste sich wehren, durchzuckte es sie. Sie musste sich früher wehren als beim Roten. Sie wollte es nicht, sie wollte nicht schon wieder einen Menschen verletzen oder gar töten. Doch die Welt, in die sie da hineingeraten war,
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