Fuerstin der Bettler
gewaschen hatte. Sie spürte den kratzigen Stoff eines frischen Hemds, das man ihr übergezogen haben musste – doch sie konnte sich nicht daran erinnern, dass all das mit ihr geschehen war.
Hannah lauschte in die Schwärze hinein, ob jemand atmete oder ob sie allein war in dieser Höllenfinsternis.
»Na, aufgewacht, Röttel?« Die Stimme schnitt durch die Dunkelheit, als besäße sie ein Messer aus Worten.
»Liss?«, fragte Hannah sofort.
»Ja, Röttel, genau die.« Die Stimme der Liss klang warm und besorgt.
»Aber ... der Dürre Karl hat dich doch ausgesperrt ...« Hannah versuchte ihre Gedanken zu ordnen, was ihr in der gestaltlosen Schwärze um sie herum nur schwer gelang.
»Der Dürre Karl? Nun, der ist tot.«
»Tot?« Die Flut der Erinnerung schwappte über sie hinweg: Der Kerl, der sich an ihr vergehen wollte. Das Messer. Der Hieb. Sie erinnerte sich an den Schwall Blut, der dem Mann aus der Kehle gequollen war. Am eigenen Blut war er erstickt. Und sie empfand keine Reue dabei.
»Du hast ihn erstochen, Röttel.« Der Satz blieb in der Schwärze hängen und waberte von einem Ende des Raums zum anderen, als könne er sich nicht daraus befreien.
»Ich wollte das nicht. Er hat mich ... er wollte ...« Weiter kam sie nicht, denn ein Schluchzer brach aus ihr heraus, und schließlich liefen ihr die Tränen wie Wasser über die Wangen. Doch es waren nicht die Tränen der Trauer um einen Toten, sondern die Tränen des Entsetzens, dass sie zu solch einer Tat fähig war.
»Das wissen wir. Die Frauen haben zugesehen. Niemand macht dir einen Vorwurf.« Die Schwarze Liss verstummte kurz,als suchte sie nach Worten. Doch dann redete sie weiter, leicht und leise, und sagte einen Satz, der Hannah erschreckte: »Du hast getan, was viele von uns gern getan hätten, wenn sie den Mut dazu gefunden hätten.«
»Aber ...«, versuchte sie einzuwenden, doch die Liss unterbrach sie sofort: »Sag jetzt nichts über Nächstenliebe und ›liebet Eure Feinde‹. Das ist das Geschwätz, das uns die Pfaffen vorsäuseln, damit wir Ruhe geben. Oder glaubst du, dass irgendeiner der Kaufleute der Oberstadt, den man um sein Hab und Gut gebracht hat, dem Räuber auch noch sein restliches Eigentum hinterherwirft?«
Hannah spürte, dass die Liss recht hatte. »Ich fühle mich trotzdem schlecht. Er ist der zweite Mensch, den ich ... getötet habe.«
»Du hast dich verteidigt. Beide Male. Du hast dich deiner Haut erwehrt. Der Dürre Karl, er war ... eine lästige Mücke, genau wie der Rote ... und beide sind erschlagen worden.«
In der Finsternis des Turminneren klangen die Worte der Schwarzen Liss, als entstammten sie dem Höllenbuch der Unterwelt.
Hannah horchte, wie die Liss klackend mit Feuerstein und Metall hantierte, dann spritzten Funken auf. Sie fielen auf einen Zunderschwamm, der zu glühen begann und der, angeblasen, ein wenig Stroh zum Aufflackern brachte. Schließlich fielen die Flammen in eine Schale mit trockenen Blättern und daran entzündete die Schwarze Liss ein Talglicht. Während das Stroh kurz aufflackerte und wieder in sich zusammenfiel, begann die Talgflamme immer stärker zu leuchten. Schließlich entzündete sie weitere Talglichter, und die Dunkelheit um sie her zog sich in die Nischen der Mauern zurück, nur um dort weiter bedrohlich und finster zu hocken.
Hannah schaute um sich. Sie lag links neben dem Tor ineinem kleinen Verschlag, der durch alte, löchrige Decken abgehängt war. Dort standen eine Pritsche und eine dunkle Truhe.
Sie schlug die Decke zurück, stand auf und versuchte auf wackligen Beinen zwei Schritte zu tun. Die Talglichter erhellten den Raum nur spärlich und gaben ihm etwas Düster-Kerkerhaftes.
»Wo habt ihr ihn hingebracht?«
»Den Dürren Karl?«, fragte die Schwarze Liss. »Wir haben ihn, sobald es dunkel genug war, durch den Brunnenschacht hinabgelassen. Die Strömung ist derzeit stark genug. Sie wird ihn in den Stadtbach spülen und erst in Oberhausen oder noch später wieder freigeben.« Sie lachte ein kurzes freudloses Lachen. »Niemand wird ihn vermissen.«
Hannah verharrte, dann fuhr sie sich mit beiden Händen über das Gesicht und seufzte. »Ist es nicht schrecklich, wenn man aus dem Leben geht, und keine Menschenseele trauert um einen? Was für ein Leben habe ich dann gelebt?«
Die Düsternis um sie her schien die Frage zu verdichten. Sie spürte sie fast körperlich.
»Das ist unser Los, Röttel. Wen interessiert schon ein Weibel oder eine Bettlerin? Niemand wird
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