Fuerstin der Bettler
schob Hannah von der Luke weg. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie verstand, wovon Hannah gesprochen hatte.
»Der Steg ist neu, die Treppe auch«, sagte sie nachdenklich. »Wer um alles in der Welt braucht dort unten eine Anlegestelle?«
Hannah versuchte, über Liss’ Schulter zu spähen.
»Wer will da draußen schon wohnen?«, sagte die Schwarze Lizz mehr zu sich selbst. »Und da sind Stiefelspuren.«
Hannah pfiff leise durch die Zähne. »Denkst du, die drei Kerle landen mit ihrem Boot dort unten?«, sagte sie zu Hannah.
»Wenn man den Schlüssel zu der Pforte da unten hätte ...«, spann die Liss Hannahs Gedanken weiter.
»Es würde sich zumindest anbieten, Liss.«
»Das wiederum würde bedeuten, Röttel, dass das Haus hier ...«
Weiter kam sie nicht, denn auf dem Wehrgang waren Schritte zu vernehmen und eine gedämpfte Stimme, die einen Namen rief. Hanna hörte etwas wie »Bene...!«
Hannah und die Schwarze Liss wollten zur Treppe zurück. Doch auch von dort unten vernahmen sie das Knarren von Holzstufen und das Poltern einer sich nähernden Gestalt.
Die beiden Frauen sahen sich an. Die Liss sah blass aus. »Los«,hauchte sie. Sie drehten sich um und liefen den Wehrgang entlang in Richtung Süden. Sie mussten den nächsten Turm erreichen, bevor die Männer auf den Wehrgang hinaustraten.
Die Sonne stach vom Himmel und warf, jetzt zur späteren Nachmittagszeit, einen Schatten über den Wehrgang, weil ein Teil davon überdacht war.
»Bleib stehen«, zischte die Liss und presste sich an die Mauer. »Wenn wir Glück haben, dann sehen sie uns im Schatten nicht.« Es war verboten, sich auf dem Wehrgang aufzuhalten – und für das Bettelvolk ohnehin. Wurden sie erwischt, bedeutete das zumindest einige Tage Turm oder die Hexenlöcher.
Hannah presste sich dicht neben der Schwarzen Liss an die Ziegelmauer, doch sie teilte deren Hoffnung nicht. Es war viel zu hell, als dass sie unsichtbar werden konnten.
Ängstlich schaute sie zurück. Ein Mann war von unten heraufgekommen, ein weiterer aus dem Turm getreten, zu dem der Aufstieg hochgeführt hatte. Es waren keine Wächter. Keiner von ihnen hatte eine Hellebarde oder einen Helm, geschweige denn einen ledernen Panzer. Der Mann, der von unten heraufgestiegen war, trug einen Mantel und hatte trotz der Hitze die Kapuze über den Kopf gezogen. Seine Füße steckten in einer Art Sandalen. Den anderen Mann hatte Hannah schon einmal gesehen. Er hatte im Hintergrund gestanden, als die Liss und sie selbst Aigen auf dem Brandplatz beobachtet hatten. Es war der Unheimliche mit dem dunkelroten Wams. Was hatte der hier zu tun?
»Was sind das für Leute?«, flüsterte die Liss. »Die gehören ebenso wenig hierher wie wir.«
Hannah konnte weder antworten noch sich bewegen. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie hatte das Gefühl, als wäre sie festgewachsen. Hoffentlich entdecken sie uns nicht, hoffentlich entdecken sie uns nicht, hoffentlich entdecken sie uns nicht, hämmerte es in ihrem Kopf.
»Was machen die da? Schau, sie öffnen die Luke und werfen etwas nach draußen!«
Hannah zitterte vor Angst. Es war, als wollten ihre Augen nicht sehen, was dort vor sich ging. Erst als sie sich dazu zwang, gelang es ihr. Einer von ihnen hantierte an der Luke herum und hielt etwas in der Hand, dass aussah wie ein Knäuel Wolle.
»Sie spielen wie die kleinen Jungen«, krächzte sie.
»Oh nein. Das ist kein Spiel, das sag ich dir. Wir müssen hier weg. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu«, flüsterte die Liss und schlich weiter. Hannah wäre ihr gern gefolgt, doch sie konnte ihre Beine nicht bewegen. Sie konnte sich nur nach der Liss umschauen – und entdeckte sie nirgends mehr.
Sie wollte schon nach der Liss rufen, das sah sie die Hand der Bettlerin keine zehn Fuß vor sich, so als würde sie aus der Mauer wachsen und ihr zuwinken. Natürlich. Dort stieß die Mauer der Vorstadt an die Stadtmauer – und der Wehrgang bog nach Osten hin ab, daher konnte sie von ihrer Warte aus die Liss erst jetzt erkennen. Plötzlich war ihre Beweglichkeit zurück, sie huschte das kurze Stück bis zur Liss hin, und die zog sie hinter die Biegung, aus dem Blickfeld der Männer.
Hannahs Hals war trocken und fühlte sich so rau an wie Bruchstein.
»Ich hätte das beinahe nicht überlebt«, stöhnte sie, doch die Liss beachtete sie gar nicht. Sie stand an einer der Scharten und blickte hinaus. Hannah, der es einen kleinen Stich gab, dass sich die Liss nicht um sie kümmerte, trat
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