Fuerstin der Bettler
schwärmten aus, und Hannah und die Schwarze Liss gingen nebeneinander her. Kaum hatten sie den Turm verlassen und kamen an der Stelle ihrer Demütigung durch den Roten vorüber, fiel Hannahs Selbstsicherheit in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Wollte sie wirklich einen Rachefeldzug lostreten? Die Bettlerin teilte ihre düsteren Gedanken offenbar, denn sie sah sie immer wieder von der Seite an.
Schließlich unterbrach die Schwarze Liss ihren humpelnden Schritt und blieb stehen. Hannah hielt ebenfalls inne, wagte es aber nicht, die Liss anzusehen.
»Wenn es so geht, wie du es dir ausgedacht hast, Röttel, musst du dich vor dem in Acht nehmen, was du damit heraufbeschwören wirst.«
»Wie meinst du das?«, fragte Hannah.
»Außerdem musst du dir im Klaren darüber sein, dass du es nicht nur für die Frauen tust.«
Hannah stampfte mit dem Fuß auf. »Was redest du da? Natürlich tue ich es für die Frauen.«
»Sei ehrlich. Du willst wissen, wer hinter dem Brandanschlag steckt. Du willst denjenigen zur Verantwortung ziehen, der das Haus niedergebrannt hat. Du willst denjenigen bestrafen, der dir Gewalt angetan hat. Deshalb tust du das alles. Und wenn du erreicht hast, was du willst, wirst du in ein Leben zurückkehren, das nichts zu tun hat mit dem unseren. Aber du wirst einenKrieg hinterlassen, der nicht der unsere ist. Davor habe ich Angst.«
Hannah sagte nichts. Unsicher kratzte sie sich am Oberarm. Hatte sie die Folgen ihres Aufrufs zum Widerstand gegen Kleinkönige wie den Roten wirklich durchdacht?
»Ich weiß nicht, ob du recht hast«, sagte sie leise. »Aber zumindest für Nelda muss ich es tun. Erst wenn der Rote nicht mehr durch Augsburgs Straßen streift, kann sie wieder ruhig schlafen.
»Ich hoffe, du hast recht«, sagte die Schwarze Liss.
»Kann ich auf dich zählen, Liss?«
Die Bettlerin humpelte an Hannah vorbei, ohne ein Wort zu sagen. Stumm gingen sie nebeneinander her. Hannah wagte es nicht, die Frage zu wiederholen, und sie wagte es auch nicht, die Liss zu drängen. Schließlich konnte sie aber nicht mehr an sich halten. »Liss!«, brach es verzweifelt aus ihr heraus.
Die Schwarze Liss schüttelte den Kopf, während sie sich humpelnd weiter den Berg hochkämpfte.
Hannah spürte, wie sich ihr Herz verkrampfte vor Angst, Liss’ Unterstützung zu verlieren. Sie wusste sehr wohl, dass sie nur mittels der aufopfernden Unterstützung ihrer neu gewonnenen Freundin bis hierher gekommen war. Sie hatte noch niemals ein so tiefes Gefühl der Freundschaft und Verbundenheit erlebt. Ohne Liss war ihr Plan zum Scheitern verurteilt.
Schließlich berührte die Liss Hannah leicht am Arm. »Ich will wissen, wer meinen Vater getötet hat, Röttel. Und vielleicht ist der Rote ja der Schlüssel dazu.«
Sie lächelte, und in ihren Augen lag die Leidenschaft, die Hannah vom ersten Tag an bei der Freundin bemerkt hatte.
So gingen sie weiter stumm nebeneinander her bis zum Brotmarkt.
Die Frauen, die vorausgegangen waren, standen um den Platz herum und hielten Ausschau. Tatsächlich humpelte nicht allzulange nach dem Ende der Messe bei Sankt Moritz der Rote aus Richtung der Schranne daher. Er zog das eine Bein nach, dessen Achillessehne Hannah mit dem Messer durchtrennt hatte. Das andere Bein schien ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen zu sein, denn er brauchte zwei Krücken, um vorwärtszukommen.
Jetzt stand er mit den Frauen auf einer Stufe. Er war angreifbar und konnte sich nicht wehren. Doch sie sah auch, wie er Blicke mit Kerlen am Straßenrand tauschte, wie er sie hierhin und dorthin schickte, damit sie Brot oder Semmeln stahlen oder eintrieben. Der Rote war nicht allein. Also musste es schnell gehen.
Hannah nickte den Frauen zu.
Nun lief alles wie am Schnürchen, und der Rote verstand vermutlich nicht, wie ihm geschah. Alle Frauen hielten lange Pilgerstöcke in Händen, die sie sich aus den Beständen der Jakobskirche, der Pilgerkirche Augsburgs, ausgeliehen hatten. Die erste Frau trat von hinten an ihn heran, und als er die Krücken hob, um sie weiter vorne abzusetzen, schlug sie ihm eine Krücke aus der Hand. Der Rote strauchelte. Die zweite Krücke wurde ihm ebenfalls weggeschlagen, gleichzeitig traf ihn ein Stock zwischen den Beinen, sodass er sich krümmte. Zwei weitere Stöcke trafen ihn im Gesicht und im Magen. All das geschah, während die Frauen wie beiläufig an ihm vorübergingen. Zuletzt kam Hannah. Der Rote wälzte sich stöhnend auf dem Boden. Sein Gesicht lief bereits blau an, weil
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