Full House: Liebeserklärung an die Chaosfamilie (German Edition)
nachgedacht …«? Nicht so toll – und sie zieht mit großer Wahrscheinlichkeit die Frage nach sich: »Papa, hast du das nicht in der Schule gelernt? Du warst doch in der Schule?«
Dazu muss ich erklären, dass jeder in meiner Familie glaubt, die Berufe in der Medienbranche wären auch von einem Voll-Honk ohne Schulbildung auszuüben. Eine ArtIdiotenzone für Minderqualifizierte und komplett Talentfreie.
Kinder haben tatsächlich eine besondere Fähigkeit, Fragen zu stellen, die sich leider nicht beantworten lassen. Zumindest nicht von mir. Ständig geht es um Naturphänomene oder um komplizierte zwischenmenschliche Angelegenheiten. Die ultimative Hammerfrage für alle Väter: »Du, Papa, warum hat eigentlich immer Mama recht, wenn ihr euch streitet?«
Erklären Sie doch mal einem Kind, dass uns Männern der Frieden wichtiger ist als das Rechthaben. Widersprich deiner Frau, und der Abend ist gelaufen. Endlose, fruchtlose Diskussionen ersetzen jede logische Überlegung. Dann doch lieber nachgeben und Auseinandersetzungen geschickt aus dem Weg gehen. Was mir übrigens leider selten gelingt.
Um es ein für alle Mal klar und deutlich zu sagen: Die Frau hat immer recht. Und wenn sie Kinder hat, dann sowieso.
Was nichts daran ändert, dass es dann trotzdem häufig ich bin, der den Kindern bei den Hausaufgaben helfen soll. Jedenfalls wenn es um Photosynthese, Trigonometrie oder Kohlenwasserstoffverbindungen geht. Alles Dinge, die ich schon zu Schulzeiten nicht mal ansatzweise verstanden habe. Aber es macht Mama einfach Spaß, wenn ich als Trottel dastehe.
Ich erinnere mich noch, dass ich nach vielen Jahren auf der Schulbank dachte, ich hätte es endlich hinter mir. Nie wieder Mathe! Nie wieder Chemie! Und dann kriegst du Kinder, und du musst die ganzen Hausaufgaben noch mal machen.
Natürlich haben wir’s mit Nachhilfe probiert. Aber ich war zu doof dazu. Der Nachhilfelehrer hat kapituliert. »Wahrscheinlich sind Sie zu alt, Herr Richter«, hat er eines Tages gesagt. »Das geht irgendwie nicht mehr in Ihren Kopf. Wäre es nicht einfacher, wenn ich Ihre Kinder unterrichte?«
Der gute Mann hat recht, ich packe das nicht mehr. Wenn meine Tochter nach mir ruft, ich solle ihr bei den Mathehausaufgaben helfen oder bei der Vorbereitung auf die anstehende Physikschulaufgabe, scheide ich für etliche Stunden aus dem Leben auf diesem Planeten aus und begebe mich in ein Paralleluniversum aus Überforderung und Ohrensausen.
Und wenn sie mich am Tag darauf fragt: »Papa, kannst du mich mal abfragen?«, dann rasselt sie runter, was sie aus ihren siebenundvierzig Seiten Hefteinträgen in Algebra auswendig gelernt hat, und mein Zustand ähnelt binnen weniger Sekunden einem Wachkoma.
Ich bin schon erstaunt, was von unseren Kindern immer wieder verlangt wird. Sie lernen in der Schule zwar nicht, wie man ein Rührei zubereitet, aber sie können aus dem Handgelenk eine nobelpreisverdächtige Chemieformel zusammenschrauben. Sie haben keine Ahnung, wie oft man eine Topfpflanze gießt, aber sie können die Photosynthese bis ins kleinste Detail erklären.
Natürlich will man die lieben Kleinen auch nicht enttäuschen. Gerade Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter halten ihre Väter noch für die Hüter der Weisheit. Keine Frage, die sie nicht stellen, kein Problem, mit dem sie nicht zu Papa kommen. Und zwar zu jeder Zeit an jedem Ort.
Paps will gerade unter die Dusche? Tochter: »Du, Papa, kannst du schnell meinen Fahrradreifen flicken? Ich muss in drei Minuten in der Schule sein.«
Paps steht in einer fernen Stadt am Flughafen? Sohn (heulend und schniefend am Telefon): »Du, Papa, ich finde meine roten Legosteine nicht mehr. Kannst du mal gucken, ob die bei euch unterm Bett liegen?«
Fragen, Bitten, Fragen. Alles soll man wissen, immer einen Plan haben. Wer nicht schon wahnsinnig ist, der wird es als Vater mit Sicherheit nach einiger Zeit werden, als Mutter vermutlich auch. Trotzdem: Es ist ein wunderbarer Wahnsinn. Wenn ich ehrlich bin, liebe ich es, gefragt zu sein. Denn wenn meine Tochter kommt, um sich von mir Dinge abfragen zu lassen, von denen ich keine Ahnung habe, dann bedeutet es doch, sie glaubt an mich. Und wenn mein Sohn davon ausgeht, dass ich ihm über Hunderte von Kilometern auf die Schnelle sagen kann, wo seine Legosteine sind (vor allem die roten!), dann hält er mich irgendwie doch für so was wie Superman.
Im Übrigen gibt es ja den kleinen Trost, dass die Quälgeister später vermutlich selbst mal
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