Fummelbunker
Es erklärte, warum ich seiner Ansicht nach nicht mit der Polizei sprechen durfte, aber es brachte auch das ideologische Bild, das ich mir von meinen älteren Bruder in all den Jahren seiner Abwesenheit gemalt hatte, gnadenlos zu Fall: Er war immer der Klügere von uns beiden gewesen. Er war Akademiker. Und bislang hatte ich immer geglaubt, dass sich gebildete Leute wie Olaf niemals mit ethischem Abschaum wie Bäcker und Gregor abgeben würden.
Der lilafarbene Corsa kam die Höntroper Straße hinuntergefahren und parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf einer Bürgersteigsenke. Ich schenkte der Karre kaum Beachtung und sah auf die Uhr. Noch zehn Minuten bis zum Schlussgong.
Ich rief Sascha an. »Wir sollten uns bei Gelegenheit zum Essen verabreden«, schlug ich vor.
»Wieso? Brauchst du mal wieder eine Stütze aus der Exekutiven?«
Ich schmollte. »Was ist, wenn ich sagen würde, dass dies nicht der Fall ist?«
»Dann würde ich es dir nicht abkaufen.«
Beleidigt brummte ich durch den Hörer, was Sascha mit einem kurz angebundenen Lachen quittierte. »Also, was willst du?«
»Ich brauche deine Kontakte.«
Er scherzte: »Tut mir leid, aber mit der Mafia mache ich schon seit Jahren keine Geschäfte mehr.«
»Ich möchte gern mit einem deiner Exkollegen in Dortmund plaudern.«
Sascha Richter war ein Dortmunder im Exil, hatte jahrelang als Sachbearbeiter im dortigen polizeilichen Innendienst gearbeitet, ehe er nach Bochum kam. In Dortmund lernten wir uns kennen, als er eine Tätlichkeit meines Vaters gegen einen Nachbarn aufnehmen musste. Das ist schon mehr als zwei Jahre her, aber weil wir keine einschlägigen Hobbys teilten, hielt sich unser privater Kontakt in Grenzen. Stattdessen rief ich ihn für kleinere polizeiliche Dienstbarkeiten an, welchen er sich mehr störrisch als hingebungsvoll annahm. Seine Motivation, sich überhaupt mit mir abzugeben, verstand ich bis heute nicht, denn die Gefallen, die ich ihm als Gegenleistung versprach, löste er selten bis gar nicht ein.
»Plaudern«, wiederholte er. »Möchtest du verkuppelt werden? In der Anzeigenverwaltung gäbe es einen Halbitaliener in deiner Kragengröße.«
»Quatsch!«, protestierte ich, hakte aber nach. »Was meinst du denn mit Kragengröße?«
»1,90.«
Ich pfiff durch die Zähne. »Vielleicht komme ich ein anderes Mal darauf zurück.« Dann erläuterte ich ihm die Sachlage und ich hörte, wie er parallel fleißig in die Tasten haute.
»Bevor ich nach Bochum übergelaufen bin, hat Götz immer die Einbruchsachen bearbeitet«, sagte er. »Ich werde mich mal umhören.«
Ein paar Minuten später schellte die Schulglocke und ich ließ den Motor an. Alles, was danach passierte, war vorhersehbar: Tarek verließ allein den Schulhof und flanierte die Straße hinunter bis zu dem fraglichen Motorroller, dessen Fahrer er mit einem Handschlag begrüßte. Anschließend zog er sich den Helm über und schwang ein Bein über die Rückbank. Als der Roller schließlich in die Puschen kam, scherte der Corsa aus der Senke aus und heftete sich an das kleine Nummernschild, ohne auch nur einen Meter Abstand zu vergeuden. Gelangweilt folgte ich dem Tross bis in die Graf-Adolf-Straße und wartete mit dem Corsa zusammen in sicherer Entfernung in einer Parkbucht. Ich hatte einen guten Ausblick auf den alten, gelb gestrichenen Ziegelbau, in dem Metin mit seiner Familie hauste. Die Bude war klassisch für diese Straße, hatte eine Einfahrt und einen ebenerdigen Hauseingang. Efeu wuchs wie Schimmel die Wände hoch und verdeckte ein Seitenfenster. Als Yusuf und seine Chauffeurin der Warterei überdrüssig wurden, folgte ich ihnen den Weg zurück in die Alleestraße, was an Vorausschau kaum noch zu überbieten war. Was zum Teufel wollte Opa Yusuf damit nur bezwecken?
Mein Magen knurrte. Also verließ ich über den Westring die Gegend und nahm Kurs auf Hamme. Als ich den Nordring hinter mir gelassen hatte, kreuzte eine babyblau leuchtende Full-Service-Tankstelle meinen Weg und ich setzte den Blinker. Auf dem Gelände steuerte ich den Wagen an den Tanksäulen vorbei direkt vor die vollautomatische Waschstraße. Mein Magen rebellierte, aber es musste sein.
Ich stieg aus und drehte die Antenne aus dem Gewinde. Ein Tankstellenangestellter mit Mittelklassebart und zeitsparender Frisur kam mir bereits entgegen. Ich holte mein Portemonnaie aus der Handtasche, gab ihm fünf Euro und bestellte den Klassikerwaschgang für Anspruchslose. Servicebewusst manövrierte der
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