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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonja Ullrich
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Zeitpunkt des G8-Gipfels noch in Köln gelebt und gearbeitet. Er hatte also Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Zwar hat er den Angriff auf die Polizistin nicht persönlich gesehen, aber die Geschichte schien ihn nie richtig loslassen zu wollen. Wenn es dazu etwas zu erzählen gab, tanzte er immer in der ersten Reihe.« Er nippte vorsichtig an seinem Kaffee.
    »Das hat er dir alles erzählt?«
    Erneut machte sein Kopf einen Knicks.
    »Hat er dir auch erzählt, warum er von dieser Sache so angetan war?«
    Etwas ungeschickt ließ Olaf seine Schultern kreisen, aber er machte nicht den Eindruck, dass er keine Antwort auf meine Frage hatte.
    »Kannte er Gregor? Kannte er seine Frau?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Was ist mit Karim, dem Türken? Kannte er ihn?«
    Überzogen rümpfte Olaf die Nase. »Das würde mich wundern.«
    Ich beobachtete seine Reaktion, die vor allem Belustigung widerspiegelte. Belustigung über meine Mutmaßung, Bäcker könne Karim kennen. Bäcker könne einen Türken kennen. Auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. »Sieht so aus, als hätte Boris Bäcker ein kleines Integrationsproblem.«
    Mein Bruder blies die Backen auf. Hilfe suchend schaute er in den Kaffee und riss ein paar Zuckertüten auf, die er aber doch nicht in die Tasse schüttete. Ich bäumte mich auf und breitete meine Arme über den Tisch aus, bis sie die Hälfte des Möbels bedeckten. Mit meinem Blick versuchte ich ihn zu hypnotisieren, aber er sah an mir vorbei.
    »Erzähle es mir, Bruder. Erkläre mir, was so unfassbar faul an diesem Typen ist.«
    Olaf schüttete den Zucker in die Tasse und rührte eine geschlagene Minute darin herum, ehe er endlich den Mund aufmachte. »Seit geraumer Zeit schreibt Boris unter dem Namen Christian Ponzo für ein Blatt, das sich der ›Westfälische Beobachter‹ schimpft. Der Name ist abgeleitet von dem ›Westdeutschen Beobachter‹, einer Zeitung aus den 30ern.« Er schüttelte die Kaffeereste vom Löffel. »Der ›Westfälische Beobachter‹ erscheint monatlich und wird sozusagen unter der Ladentheke verkauft.«
    »Ein Insiderblatt? Für wen?«
    Als wäre sein Heißgetränk noch nicht süß genug, schüttete er eine weitere Zuckertüte über der Tasse aus. Dann flüsterte er: »Für die westfälische rechtsradikale Szene.«
    Ich riss die Augen auf und Olafs Oberkörper schnellte ruckartig nach vorn, sodass er beinahe die Tasse umstieß.
    »Das ist kein Kavaliersdelikt, Esther. Wenn die WAZ das rauskriegt, ist er nicht nur gefeuert, sondern auch ein Fall für den Staatsanwalt.« Mein Bruder drückte den Zeigefinger auf seine Brust. »Und ich wäre als Mitwisser dran.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Und das nimmst du einfach hin?«
    »Man kann sich seine Kollegen nicht aussuchen.«
    Ich erinnerte mich daran, dass er ihn einen Freund nannte, wollte ihn jedoch nicht damit konfrontieren.
    »Aber im Internet ist Christian Ponzo alles andere als eine geheime und radikale Figur. Unter dem Namen gibt es einen ordentlichen Lebenslauf. Außerdem habe ich unter dem Kürzel chp ein paar liberale Beiträge gefunden. Genauso wie die Artikel über die Pankowiaks, welche du mir durchgereicht hast.«
    »Das ist nichts Ungewöhnliches. Viele bei der WAZ scheinen zweigleisig zu schreiben.«
    »Aber geht das den Leuten dieses Naziblattes nicht gegen den Strich?«
    Er grunzte verächtlich. »Ganz im Gegenteil. Wer Reporter für den ›Westfälischen Beobachter‹ werden will, muss über gute Referenzen verfügen. Und wer aktiv werden darf, muss das gleiche Pseudonym benutzen. Das verschafft den Redakteuren eine Art Kontrolle. Viele dieser Leute dienen auch als Propagandamittel, um neue Mitglieder heranzuschaffen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Was ist mit dir? Schreibst du auch für dieses Blatt?«
    »Um Gottes willen!«
    Mit angespannten Muskeln lehnte ich mich zurück. Das Rattan knirschte. Ein Gedanke drängte sich mir auf. »Ich werde das Gefühl nicht los, dass Bäcker und Gregor aus dem gleichen nationalsozialistischen Sumpf ausgegraben wurden.«
    »Eine hübsche Metapher, Schwester.« Er starrte durch mich durch. »Aber ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«
     
    Ich war äußerst unkonzentriert, als ich mich an jenem frühen Donnerstagnachmittag vor der Waldorfschule auf die Lauer legte. Mein Bruder war mit einem Nazi-Sympathisanten befreundet und ich brauchte keine irrsinnigen Gedankensprünge zu machen, um zu kapieren, dass ihm dieser Umstand äußerst unangenehm war.

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