Fundort Jannowitzbrücke
Michael. »Das könnte vielleicht wichtig sein.«
»Das weiß ich noch genau«, sagte Tobias. »Das war um zwölf Uhr.«
Olaf mußte den Wagen auf jeden Fall nach zwölf zurückgebracht haben.
Seit ihrer Flucht aus der Videothek fühlte sich Barbara wie betäubt. Ziellos kurvte sie mit ihrem Wagen durch die Straßen. Die Sonne stand inzwischen im Zenit. Erstmals nach dem langen Winter entwickelte sie ausreichend Kraft, um die Stadt ein wenig aufzuwärmen.
Barbara fuhr immer weiter, als könne sie alles ungeschehen machen, wenn sie nur fahren und niemals anhalten würde. Doch die Karte war weg, sie war unwiederbringlich verloren. Der einzige Hinweis, der zu dem Mann führte, der ihre Schwester ermordet hatte.
Sie war so in Gedanken vertieft, daß sie die rote Ampel erst sah, als es fast zu spät war. Im allerletzten Augenblick machte sie eine Vollbremsung und schlitterte mit ihrem Wagen in den Kreuzungsbereich hinein. Ein schwerer LKW donnerte auf sie zu. Er verfehlte sie nur knapp. Der Fahrer hupte wild und machte Handzeichen. Doch es war nichts passiert, Barbara atmete durch.
Die Fußgängerampel sprang auf Grün. Menschen drängten sich an ihrer Motorhaube vorbei, Kinderwagen, Hunde, Fahrräder. Sie achteten kaum auf den Sportwagen, der auf der Kreuzung stand. Gleichgültig gingen sie vorbei, niemand sah zu ihr ins Wageninnere.
Barbara kam nur langsam wieder zur Ruhe. Schließlich suchte sie ein Straßenschild, um sich zu orientieren. Erst da entdeckte sie das Eckhaus auf der anderen Seite, in dessen Erdgeschoß sich eine Filiale des Berliner Videorings befand. Nachdenklich blickte sie auf das Logo. Die Karte ist weg, sagte sie sich. Du mußt dich damit abfinden.
Eine Mitarbeiterin der Videothek trat auf die Straße. Sie hatte die Eingangstür weit geöffnet, um die Frühlingsluft hereinzulassen. Doch offenbar war der Märzwind zu frisch geworden. Sie zog den Keil aus dem Spalt zwischen Tür und Boden und ließ die Tür ins Schloß fallen. Bevor sie im Innern verschwand, sah sie auf die Straße hinaus und strich sich ihre blonden Haare hinter das Ohr. Dann war sie weg.
Barbara hatte die Frau sofort erkannt. Es war eine der Studentinnen aus den unteren Semestern. Damals während ihrer Zeit auf der Universität. Barbara hatte sich einige Male mit ihr unterhalten. Sie erinnerte sich, wie die Frau ihr erzählt hatte, daß sie ihr Studium mit der Arbeit in einer Videothek finanzieren würde. Sie hatte Barbara angemacht. Daran konnte sie sich noch gut erinnern. Doch Barbara war zu der Zeit mit Maria zusammengewesen und hatte keinen Gedanken an eine andere verloren.
Ihr Herz schlug höher. Diese Frau würde ihr weiterhelfen, da war sie sich ganz sicher.
Hinter ihr hupte jemand. Barbara schreckte auf. Die Ampel war inzwischen auf Grün gesprungen. Sie fuhr ihren Wagen an die Seite, parkte in zweiter Reihe vor der Videothek und stieg aus.
Kaum hatte sie die Glastür geöffnet, sah die blonde Frau neugierig zu ihr hinüber. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. »Barbara? Barbara Nowack?«
Sie sprang hinter der Theke hervor, lief ihr entgegen und umarmte sie flüchtig.
»Das ist ja eine Überraschung«, sagte sie.
Barbara erinnerte sich wieder an ihrem Namen. »Sibyll! Schön, dich zu sehen.«
Sibyll strahlte sie an.
»Du studierst also noch immer?« sagte Barbara und deutete mit einer ausladenden Bewegung auf die Regale mit den Kassettenhüllen.
Sibyll verzog das Gesicht. »Ich will im Sommer Examen machen. Wenn ich es dieses Mal packe.« Nach kurzem Seufzen fügte sie hinzu: »Dabei gefällt mir dieses Leben im Grunde ganz gut. Drei Tage leichte Arbeit und die restliche Zeit ausschlafen und feiern gehen. Aber das verstehst du wohl nicht.«
Sie lachte Barbara an, nahm ihre Hand und zog sie zur Theke.
»Komm, setz dich zu mir«, sagte sie. »Du mußt mir erzählen, was du jetzt machst. Bestimmt arbeitest du Tag und Nacht und bist furchtbar erfolgreich.«
Barbara folgte ihr mit leichtem Unwillen.
»Eigentlich habe ich gar keine Zeit.«
Sibyll lächelte sie an. »Natürlich hast du keine Zeit«, sagte sie mit milder Stimme. »Alles andere hätte mich auch überrascht. Was kann ich für dich tun?«
Barbara spürte die Anspannung in ihrem Körper. Es kostete sie all ihre Kraft, ruhig zu bleiben und zu lächeln.
»Ich habe eine Brieftasche gefunden«, sagte sie. »Es war ziemlich viel Geld darin. Und eine Mitgliedskarte des Videorings. Ich dachte, es ist besser, wenn ich das Geld persönlich
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