Fundort Jannowitzbrücke
persönlich. Mit Michael Schöne hatte er bislang kein Wort gewechselt. Doch der Ruf, der dem Kommissar vorauseilte, war auch ihm zu Ohren gekommen.
»Man sagt über ihn, daß er sehr emotional an seine Fälle herangeht«, meinte er vorsichtig.
Herzberger nickte. »Das kann man wohl so sagen.«
»Das ist nicht immer falsch«, sagte Pohl. »Verbrechen sind etwas Hochemotionales.«
»Ich will nicht verschweigen, daß er uns einige ungewöhnliche Erfolge verschafft hat. Doch in der Regel bedeutet seine Art für mich nur einen Haufen Ärger aus allen Richtungen.« Dann wandte er sich wieder seinen Unterlagen zu. Gerhard Pohl sah ihn nachdenklich an. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Sie mögen ihn«, stellte er fest.
Herzberger schaute zu ihm auf. In seinem Blick sah der Fallanalytiker einen gewissen Unwillen und beschloß, nicht weiter darauf einzugehen.
»Wo stehen wir, was Olaf Nowack angeht?« fragte er den Hauptkommissar.
»Er hat einer freiwilligen Speichelentnahme zugestimmt. Wenn er etwas mit den Morden zu tun hat, dann werden wir es bald wissen. Außerdem überprüft ein Kollege gerade sein Alibi. Er hatte angegeben, während der Tatzeit allein in einer Kneipe in der Leipziger Straße gesessen zu haben.«
»Wann wird er von der Befragung wiederkommen?«
Herzberger zuckte mit den Schultern. Bevor er etwas sagen konnte, wurde er durch das Telefon unterbrochen. Seufzend nahm er den Hörer ab und meldete sich.
»Na, wenn man vom Teufel spricht«, rief er in den Hörer. »Er ist also wieder im Haus?«
Eine Pause entstand. »Ja, stellen Sie mich bitte durch, Frau Schrade.«
Mit der Hand auf der Muschel sah er zu Pohl auf.
»Der Kollege ist wieder da«, sagte er leise. »Wir werden es gleich erfahren.«
An diesem Samstagabend war ungewöhnlich viel Betrieb in dem kleinen Restaurant, das gegenüber der Agentur Nowack in einen der S-Bahnbögen eingezogen war. Das milde Wetter hatte die Leute aus ihren Wohnungen getrieben. Die Straßen und Plätze waren voller Menschen, und selbst abgelegene Cafes und Kneipen waren gefüllt mit zahllosen Gästen.
Einer der Kellner erkannte Barbara in der Tür und begrüßte sie überschwenglich. Er führte sie zu dem abseits gelegenen Personaltisch, der als einziger noch frei war. Barbara war dankbar über das ruhige Plätzchen unter dem Mauerbogen. Sie rutschte auf die rote Lederbank und bestellte ein Glas Wein.
Dann öffnete sie vorsichtig ihre Handtasche und sah hinein. Es war alles darin, was sie für diesen Abend brauchte. Ganz unten lag die Pistole, eingewickelt in ein großes Taschentuch. Darüber lagen Kugelschreiber, Geld und Handy. Mit ihrem Finger strich sie über den wichtigsten Gegenstand in ihrer Tasche, einen kleinen Klebezettel mit dem Logo des Berliner Videorings. Darauf standen Name und Adresse desjenigen, zu dem sie im Anschluß fahren würde.
Barbaras Hochstimmung war inzwischen verflogen. Seit sie den Zettel von Sibyll entgegengenommen hatte, war sie zusehend nervöser geworden. Es hatte einige Zeit gedauert, bis sie verstanden hatte, was in ihr vorging. Sie bekam Angst.
Es war ein Gefühl, eine Vorahnung. Sie hatte Angst vor dem, was in dieser Nacht auf sie warten würde. Doch ihr Entschluß stand fest. Es gab kein Zurück mehr. Sie würde dieses Monster töten, selbst wenn sie es mit ihrem Leben bezahlen mußte.
Sie hatte alles genau geplant. Die erste Kugel würde sein Gemächt zerschmettern. Er würde bei Bewußtsein bleiben, wenn sie es richtig machte. Die zweite Kugel würde ihn töten, zwei Minuten und zwanzig Sekunden später. Es war genau die Zeit, die Bettina um ihr Leben gekämpft hatte.
Der Kellner brachte den Wein, und Barbara schloß ihre Handtasche. Sie zahlte sofort und stellte die Tasche unter die Bank.
Dann schloß sie die Augen und lauschte den Geräuschen in dem Lokal. Es ist so viel Glück in diesem Raum, dachte sie. So viel Liebe. Die Menschen redeten und lachten, Fremde flirteten miteinander. Sie wollte vergessen, was passiert war, nur für diesen kurzen Augenblick. Bevor sie hinausgehen und ihren Plan umsetzen würde.
Sie atmete tief durch, dann öffnete sie die Augen. Die letzten Vorbereitungen mußten getroffen werden. Es war soweit. Sie griff nach ihrem Handy. Die Nummer war eingespeichert, sie mußte nur eine Taste drücken.
»Nowack«, meldete sich ihre Mutter am anderen Ende.
Barbara lauschte in den Hörer. »Hier ist auch Nowack.«
»Barbara!« rief ihre Mutter. »Das ist schön, daß du dich
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