Funke, Cornelia
als sein Bruder versuchte, wieder auf die Füße zu
kommen, trat er ihm so fest gegen die Brust, dass er unter die Kiefern
stolperte. Die schwarzen Zweige verschluckten sie beide, und Hentzau wollte
gerade den Befehl geben hinunterzureiten, als der Jadegoyl wieder zwischen den
Bäumen auftauchte.
Er scheute
das Licht der Sonne schon und zog sich die Kapuze tief übers Gesicht, als er
auf sein Pferd zuging. Er war durch den Kampf etwas unsicher auf den Beinen,
aber er würde bald merken, dass sein neues Fleisch sehr viel schneller heilte
als sein altes.
»Lass
aufsitzen!«, raunte Hentzau Nesser zu. »Wir fangen uns ein Märchen.«
25
DER KÖDER
Felsen.
Büsche. Wo konnten sie versteckt sein? Wie willst du
das wissen, Jacob? Du bist kein Goyl. Vielleicht hättest du deinen Bruder
fragen sollen.
Er zog
sich die Kapuze tiefer ins Gesicht und zwang das Pferd, langsam zu gehen. Woher
hatten sie gewusst, dass sie durch die Schlucht kommen würden? Nicht jetzt, Jacob.
Er wusste
nicht, was mehr schmerzte, die Schulter oder sein Gesicht. Menschenfleisch war
schrecklich weich, wenn es auf Jadeknöchel traf. Für ein paar Augenblicke hatte
er tatsächlich geglaubt, Will würde ihn totschlagen - und er war immer noch
nicht sicher, wie viel von der Wut, die er in den Schlägen gespürt hatte, nicht
die der Goyl, sondern die seines Bruders gewesen war.
Er trieb
Wills Pferd durch den schäumenden Bach. Wasser stob ihm auf die fieberheiße
Haut. Die Hufschläge hallten durch die Schlucht, und Jacob fragte sich schon,
ob Will nicht doch nur das eigene steinerne Fleisch gewittert hatte, als sich
links von ihm etwas zwischen den Felsen regte.
Jetzt. Er ließ dem Pferd die Zügel gehen. Es war ein brauner
Wallach, nicht so schnell wie die Stute, aber ausdauernd, und Jacob war ein
sehr guter Reiter.
Natürlich
versuchten sie, ihm den Weg abzuschneiden. Aber wie er gehofft hatte, scheuten
ihre Pferde auf dem Geröll, und der Braune preschte an ihnen vorbei und
galoppierte hinaus in das nebelverhangene Tal. Erinnerungen sprangen Jacob an,
als hätten sie zwischen den Bergen auf ihn gewartet. Glück und Liebe, Angst und
Tod.
Die
Einhörner hoben die Köpfe. Natürlich waren sie nicht weiß. Warum wurden die
Dinge in der Welt, aus der er kam, so gern weiß gefärbt? Ihr Fell war braun,
scheckig grau und fahlgelb wie die Herbstsonne, die über ihnen im Nebel trieb.
Sie beobachteten ihn, aber noch schickte sich keines zum Angriff an.
Jacob
blickte sich zu seinen Verfolgern um.
Es waren
fünf. Den Offizier erkannte er sofort. Es war derselbe, der die Goyl bei der
Scheune angeführt hatte. Seine jaspisbraune Stirn war zersplissen, als hätte
jemand versucht, sie zu spalten, und eins der goldenen Augen war so trüb wie
Milch. Sie folgten ihnen also tatsächlich.
Jacob beugte
sich über den Pferdehals. Dem Wallach sanken die Hufe tief ein in dem feuchten
Gras, aber zum Glück wurde er kaum langsamer.
Reite, Jacob. Lock sie fort, bevor dein Bruder sich ihnen womöglich
anschließt.
Die Goyl
kamen näher, aber sie schossen nicht. Natürlich nicht. Wenn sie Will wirklich
für den Jadegoyl hielten, wollten sie ihn lebend.
Eines der
Einhörner wieherte. Bleibt, wo ihr
seid!
Ein Blick
über die Schulter. Die Goyl hatten sich getrennt. Sie versuchten, ihn
einzukreisen. Die Wunde schmerzte so sehr, dass Jacob alles vor den Augen
schwamm, und für einen Moment glaubte er, in der Zeit zurückzufallen, und er
sah sich wieder mit durchbohrtem Rücken im Gras liegen.
Schneller.
Er musste schneller sein. Aber der Wallach atmete schwer, und die Goyl ritten
längst nicht mehr die halb blinden Pferde, die sie unter der Erde züchteten.
Einer kam ihm schon bedrohlich nahe. Es war der Offizier. Jacob wandte das
Gesicht ab, aber die Kapuze rutschte ihm vom Kopf, als er gerade danach greifen
wollte.
Die Verblüffung
auf dem Jaspis-Gesicht verwandelte sich in Wut, dieselbe Wut, die Jacob im
Gesicht seines Bruders gesehen hatte.
Das Spiel
war vorbei.
Wo war
Will? Jacob warf einen gehetzten Blick zurück. Der Goyloffizier sah in dieselbe
Richtung. Sein Bruder galoppierte, den Zwerg vor sich, auf die Einhörner zu.
Will ritt Claras Pferd und hatte ihr die Stute überlassen.
Neben ihr
bewegte sich das Gras, als striche der Wind darüber. Fuchs. Fast so schnell wie
die Pferde auf ihren Pfoten.
Jacob zog
die Pistole, aber die linke Hand gehorchte ihm kaum noch, und mit der rechten
war er ein wesentlich schlechterer Schütze. Trotzdem
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