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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rekkless
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bleiben und dort auf Nachricht
von Hentzau warten sollen. Aber Kami'en wollte zurück in die Berge, in denen er
geboren worden war, in seine Festung unter der Erde. Er sehnte sich nach der
Tiefe, so wie sie sich nach dem Nachthimmel sehnte oder nach weißen Lilien, die
auf dem Wasser trieben - auch wenn sie sich immer noch einzureden versuchte,
dass Liebe allein satt machte.
    Das
Zugfenster zeigte ihr nur ihr eigenes Spiegelbild: ein blasser Spuk auf dem
Glas, hinter dem die Welt viel zu schnell vorbeiglitt. Kami'en wusste, dass sie
sich in Zügen fast ebenso unwohl fühlte wie unter der Erde. Also hatte er die
Wände ihres Wagens mit Bildern schmücken lassen: Blüten aus Rubin und Blätter
aus Malachit, ein Himmel aus Lapislazuli, Hügel aus Jade, und aus Mondstein die
schimmernde Oberfläche eines Sees. Das war wohl Liebe, oder?
    Die
Steinbilder waren schön, wunderschön, und jedes Mal, wenn sie es nicht mehr
ertrug, Hügel und Felder vorbeihuschen zu sehen, als lösten sie sich auf im
Gewand der Zeit, fuhr sie mit den Fingern über die steinernen Blüten. Aber der
Lärm des Zuges schmerzte in ihren Ohren, und das Metall, das sie umgab, ließ
ihr Feenfleisch frösteln.
    Ja. Er
liebte sie. Aber das Puppengesicht würde er trotzdem heiraten, die
Menschenprinzessin mit den blanken Augen und der Schönheit, die sie nur den
Lilien der Feen verdankte. Amalie. Ihr Name klang ebenso farblos wie ihr
Gesicht. Wie gern sie sie getötet hätte. Ein vergifteter Kamm, ein Kleid, das
sich in ihr Fleisch fraß, wenn sie sich darin vor ihren goldenen Spiegeln
drehte. Wie sie schreien und sich die Haut zerkratzen würde, die so viel
weicher als die ihres Bräutigams war.
    Die Fee
lehnte die Stirn gegen die kühle Scheibe. Sie verstand nicht, woher die
Eifersucht kam. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass Kami'en eine
andere Frau nahm. Kein Goyl liebte nur einmal. Niemand liebte nur einmal ...
Zuallerletzt eine Fee.
    Die Dunkle
Fee kannte alle Geschichten über ihresgleichen: dass, wer eine von ihnen
liebte, dem Wahnsinn verfiel, und dass sie ebenso wenig ein Herz wie einen
Vater oder eine Mutter hatten. Wenigstens das war wahr. Sie presste sich die
Hand zwischen die Brüste. Kein Herz. Also woher kam die Liebe, die sie fühlte?
    Draußen
schwammen die Sterne wie Blüten auf dem nachtschwarzen Wasser eines Flusses.
Die Goyl fürchteten das Wasser, obwohl es ihre Höhlen schuf und sein Tropfen in
ihren Städten ebenso selbstverständlich zu hören war wie das Geräusch des
Windes über der Erde. Sie fürchteten es so sehr, dass das Meer Kami'ens
Eroberungen eine Grenze setzte und ihn vom Fliegen träumen ließ. Aber Flügel
konnte sie ihm ebenso wenig geben wie Kinder. Sie war aus dem Wasser geboren
worden, das er so sehr fürchtete, und all die Worte, die ihnen so viel bedeuteten
- Schwester, Bruder, Tochter, Sohn -, bedeuteten ihr nichts.
    Kinder
konnte das Puppengesicht ihm ebenso wenig schenken wie sie - es sei denn, er
wollte eines der verkrüppelten Monster zeugen, die einige Menschenfrauen
seinen Soldaten geboren hatten. »Wie oft soll ich es dir noch sagen? Mir liegt
nichts an ihr, aber ich brauche diesen Frieden.« Er glaubte sich selbst jedes
Wort, aber sie kannte ihn besser. Er wollte Frieden, aber noch mehr gelüstete
es ihn nach Menschenhaut und danach, eine von ihnen zu seiner Frau zu machen.
Seine Neugier auf alles Menschliche ängstigte sie inzwischen ebenso sehr wie
sein Volk.
    Woher kam
die Liebe? Woraus war sie gemacht? Aus Stein wie er? Aus Wasser wie sie?
    Es war nur
ein Spiel gewesen, als sie sich auf die Suche nach ihm gemacht hatte. Ein Spiel
mit dem Spielzeug, das ihre Träume ihr gezeigt hatten. Der Goyl, der die Welt
in Scherben schlug und Regeln missachtete wie sie. Die Feen spielten nicht mehr
mit der Welt. Die letzte, die es getan hatte, trug eine Haut aus Rinde. Sie
hatte ihre Motten trotzdem ausgeschickt, nach Kami'en zu suchen. Das Zelt, in
dem sie ihm zum ersten Mal begegnet war, hatte nach Blut gerochen und dem Tod,
den sie nicht verstand, und sie hatte immer noch alles für ein Spiel gehalten.
Hatte ihm die Welt versprochen. Sein Fleisch im Fleisch seiner Feinde. Und zu
spät gespürt, was er in ihr säte. Liebe. Schlimmstes aller Gifte.
    »Du
solltest öfter Menschenkleider tragen.«
    Augen aus
Gold. Lippen aus Feuer. Er sah nicht müde aus, obwohl er seit Tagen kaum
geschlafen hatte.
    Das Kleid
der Fee raschelte, als sie sich zu ihm umdrehte. Menschenfrauen kleideten sich
wie Blumen,

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