Funke, Cornelia
schoss er zwei Goyl aus
dem Sattel, als sie auf Will zuhielten. Der Milchäugige legte auf ihn an, das
Jaspisgesicht starr vor Hass. Die Wut ließ ihn vergessen, welchen Bruder er
jagen sollte, doch sein Pferd stolperte in dem hohen Gras, und die Kugel ging
fehl.
Schneller, Jacob. Er konnte sich kaum noch im Sattel
halten, aber Will hatte die Einhörner fast erreicht, und Jacob betete, dass der
Zwerg ihnen dieses Mal die Wahrheit gesagt hatte. Nun reite schont, dachte er verzweifelt, als Will
plötzlich langsamer wurde. Doch sein Bruder zügelte das Pferd, und Jacob
wusste, dass es nicht aus Sorge um ihn geschah. Will wandte sich im Sattel um
und starrte die Goyl an, wie er es auf dem verlassenen Hof getan hatte.
Auch der
Milchäugige hatte sich inzwischen wieder daran erinnert, wen er jagen sollte.
Jacob legte auf ihn an, aber sein Schuss streifte ihn nur. Verdammte rechte Hand.
Und Will
wendete das Pferd.
Jacob
schrie seinen Namen.
Einer der
Goyl hatte Will fast erreicht. Es war eine Frau. Amethyst in dunklem Jaspis.
Sie zog den Säbel, als Clara ihr Pferd schützend vor Will trieb, aber Jacobs
Kugel war schneller. Der Milchäugige schrie heiser auf, als die Goyl fiel, und
trieb sein Pferd nur noch härter auf Jacobs Bruder zu. Bloß ein paar Meter noch. Der Zwerg starrte den Goyl
entsetzt an. Doch Clara griff Will in die Zügel, und das Pferd, das sie so oft
geritten hatte, gehorchte ihr, als sie es mit sich auf die Einhörner zuzog.
Die Herde
hatte die Jagd so unbeteiligt beobachtet wie Menschen einen Schwarm
streitender Spatzen. Jacob vergaß zu atmen, als Clara auf sie zuritt, doch
diesmal hatte der Zwerg tatsächlich die Wahrheit gesagt. Die Einhörner ließen
Clara und seinen Bruder passieren.
Erst als
die Goyl sich ihnen näherten, griffen sie an.
Schrilles
Wiehern erfüllte das Tal, schlagende Hufe, bäumende Körper. Jacob hörte
Schüsse. Vergiss die Goyl, Jacob. Folge deinem
Bruder!
Das Herz
schlug ihm bis zum Hals, als er auf die aufgebrachte Herde zuritt. Er glaubte
zu spüren, wie die Einhörner ihm erneut den Rücken aufrissen und das eigene
Blut ihm warm über die Haut rann. Nicht diesmal,
Jacob. Tu, was der Zwerg gesagt hat: »Es ist ganz einfach. Schließ die Augen
und haltet sie geschlossen, oder sie spießen euch auf wie Fallobst.«
Ein Horn
streifte seinen Schenkel. Nüstern schnaubten ihm ins Ohr und die kalte Luft
roch nach Pferd und Hirsch zugleich. Jacob, lass die
Augen zu. Das Meer der struppigen Leiber nahm einfach kein Ende.
Sein linker Arm war wie tot und er klammerte sich mit dem rechten an den Hals
des Pferdes. Doch plötzlich hörte er statt schnaubender Nüstern den Wind in
tausend Blättern, das Schlagen von Wasser und raschelndes Schilf.
Jacob
öffnete die Augen und es war wie damals.
Alles war
verschwunden. Die Goyl, die Einhörner, das neblige Tal. Stattdessen spiegelte
sich der Abendhimmel in einem See. Auf dem Wasser trieben die Lilien, die ihn
vor drei Jahren hergebracht hatten. Die Blätter der Weiden, die am Ufer
standen, waren so grün, als wären sie gerade erst aus den Zweigen getrieben,
und in der Ferne schwamm auf den Wellen die Insel, von der niemand zurückkam. Bis auf dich, Jacob.
Die warme
Luft liebkoste seine Haut, und der Schmerz in seiner Schulter verebbte wie das
Wasser, das an das schilfgesäumte Ufer schlug.
Er ließ
sich von dem erschöpften Pferd rutschen. Clara und Fuchs liefen auf ihn zu. Nur
Will stand am Seeufer und starrte zu der Insel hinüber. Er schien unverwundet,
aber als er sich zu Jacob umwandte, war sein Blick aus Feuer, und die Jade war
nur noch gefleckt von ein paar letzten Resten Menschenhaut.
»Da wären
wir also. Zufrieden?« Valiant stand zwischen den Weiden und zupfte sich die
Einhornhaare von den Ärmeln.
»Wer hat
dir die Kette abgenommen?« Jacob versuchte, den Zwerg zu packen, aber Valiant
wich ihm behände aus.
»Frauenherzen
sind zum Glück so viel mitfühlender als der Stein, der dir in der Brust
schlägt«, schnurrte er, während Clara verlegen Jacobs Blick erwiderte. »Und?
Was regst du dich auf? Wir sind quitt! Aber die Einhörner haben mir den Hut
zertrampelt.« Der Zwerg fuhr sich anklagend über das unbedeckte Haar.
»Wenigstens den Schaden könntest du mir bezahlen!«
»Quitt?
Willst du die Narben auf meinem Rücken sehen?« Jacob tastete über seine
Schulter. Sie fühlte sich so unversehrt an, als hätte er nie gegen den
Schneider gekämpft. »Mach, dass du fortkommst«, sagte er zu dem Zwerg. »Bevor
ich
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