Funke, Cornelia
geworden ist.«
Clara
wollte sich abwenden, aber die Fee hielt sie fest.
»Ist das
Liebe?«, hörte Jacob sie flüstern. »Ihn so zu verraten, nur weil seine Haut
nicht mehr so weich ist wie deine? Lass ihn gehen.«
Clara hob
die Hand und fuhr Will über das versteinerte Gesicht.
Die Fee
ließ ihren Arm los und trat mit einem Lächeln zurück.
»Leg all
deine Liebe in den Kuss!«, sagte sie. »Du wirst sehen. Sie stirbt nicht so
leicht, wie du denkst.«
Und Clara
schloss die Augen, als wollte sie Wills versteinertes Gesicht vergessen, und
küsste ihn.
39
AUFGEWACHT
F ür einen Moment hoffte Jacob wider besseres Wissen, dass
es immer noch sein Bruder war, der sich aufsetzte. Aber Claras Gesicht verriet
ihm die Wahrheit. Sie wich vor Will zurück, und der Blick, den sie Jacob
zuwarf, war so verzweifelt, dass er für einen Augenblick den eigenen Schmerz
vergaß. Sein Bruder war fort.
Jede Spur
von Menschenhaut war verschwunden. Will war nichts als atmender Stein. Der
vertraute Körper in Jade gefasst wie ein totes Insekt in Bernstein.
Goyl.
Will erhob
sich von der Bank aus Sandstein, auf der er gelegen hatte, und beachtete weder
Jacob noch Clara. Sein Blick suchte nur ein Gesicht: das der Fee, und Jacob
fühlte, wie der Schmerz all die schützenden Schichten zerbrach, die er so viele
Jahre um sein Herz gelegt hatte. Es war wieder so schutzlos, wie er es als Kind
im leeren Zimmer seines Vaters gespürt hatte. Und wie damals gab es keinen
Trost. Nur Liebe. Und Schmerz.
»Will?«
Clara flüsterte den Namen seines Bruders, als wäre es der eines Toten. Sie
machte einen Schritt auf Will zu, aber die Dunkle Fee trat ihr in den Weg.
»Lass ihn
gehen«, sagte sie.
Die Wachen
öffneten die Zellentür und die Fee zog Will mit sich.
»Komm«,
sagte sie zu ihm. »Es wird Zeit aufzuwachen. Du hast viel zu lange geschlafen.«
Clara sah
ihnen nach, bis sie auf dem dunklen Korridor verschwunden waren. Dann wandte
sie sich zu Jacob um. Vorwürfe, Verzweiflung, Schuld. Sie machten ihre Augen
dunkler als die der Fee. Was habe ich
getan?, fragten sie. Warum hast du
es nicht verhindert? Hattest du nicht versprochen, ihn zu beschützen? Aber
vielleicht las er auch nur seine eigenen Gedanken in ihrem Blick.
»Sollen
wir den hier erschießen?«, fragte eine der Wachen und wies mit der Flinte auf
ihn.
Hentzau
zog die Pistole, die sie Jacob abgenommen hatten, aus dem Gürtel. Er öffnete
das Kugellager und betrachtete es wie den Kern einer fremden Frucht.
»Das ist
eine interessante Pistole. Wo hast du sie her?«
Jacob
wandte ihm den Rücken zu. Schieß schon, dachte er.
Die Zelle,
der Goyl, der hängende Palast. Alles um ihn herum schien unwirklich. Die Feen
und verwunschenen Wälder, die Füchsin, die ein Mädchen war - alles nichts als
die Fieberträume eines Zwölfjährigen. Jacob sah sich wieder in der Zimmertür
seines Vaters stehen und Will neugierig an ihm vorbeistarren, auf die staubigen
Flugzeugmodelle, die alten Revolver. Und den Spiegel.
»Dreh dich
um.« Hentzaus Stimme klang ungeduldig. Ihr Zorn war so leicht zu wecken. Er
brannte gleich unter ihrer steinernen Haut.
Jacob
gehorchte trotzdem nicht. Und hörte den Goyl lachen. »Dieselbe Arroganz.«.
»Dein
Bruder sieht ihm nicht ähnlich. Deshalb habe ich erst nicht begriffen, wieso
dein Gesicht mir so bekannt vorkam. Du hast dieselben Augen, denselben Mund.
Aber dein Vater konnte seine Angst nicht halb so gut verbergen wie du.«
Jacob
drehte sich um. Du bist so ein Idiot, Jacob Reckless.
»Die Goyl haben die besseren Ingenieure.« Wie oft
hatte er den Satz schon hinter dem Spiegel gehört - ob in Schwanstein oder als
Seufzer von Offizieren der Kaiserin - und sich nie etwas dabei gedacht.
Den Vater
gefunden, den Bruder verloren. »Wo ist er?«, fragte er.
Hentzau
hob die Augenbrauen. »Ich hoffte, das könntest du mir sagen. Wir haben ihn vor
fünf Jahren in Blenheim gefangen. Er sollte dort eine Brücke bauen, weil die
Bewohner es leid waren, von den Loreley gefressen zu werden. Der Fluss
wimmelte schon damals von ihnen, auch wenn gern erzählt wird, dass die Fee sie
ausgesetzt hat. John Reckless, so nannte er sich. Er trug immer ein Foto von
seinen Söhnen bei sich. Kami'en hat ihn eine Kamera bauen lassen, lange bevor
die Erfinder der Kaiserin daraufkamen. Er hat uns viel beigebracht. Aber wer
hätte gedacht, dass einem seiner Söhne eines Tages eine Jadehaut wächst!«
Hentzau
strich der Pistole über den altmodischen Lauf. »Er war
Weitere Kostenlose Bücher