Funke, Cornelia
Schwalbennester. Goldaugen
überall. Um nicht zu sehr aufzufallen, nahm Valiant zuerst Clara mit sich,
während Jacob sich mit Fuchs zwischen den Häusern verbarg. Dann holte der Zwerg
sie nach, und Clara versteckte sich in irgendeinem dunklen Winkel. Hinunter
waren die steilen Straßen und Treppen für Menschen noch unbegehbarer als
hinauf.
Valiant
hatte den Buchstaben auf Jacobs Stirn nachgezogen und ging mit so
selbstzufriedener Miene an Claras Seite, als führte er den Goyl seine frisch
angetraute Frau vor. Wie auf dem Hinweg begegneten sie vielen Soldaten, und
Jacob erwartete jedes Mal, wenn sie sich an einem vorbeidrängten, einen scharfen
Zuruf oder den Griff einer steinernen Hand. Aber niemand hielt sie an, und nach
ein paar endlosen Stunden erreichten sie endlich die Öffnung, durch die sie zum
ersten Mal in die Höhle geblickt hatten. Erst in dem Tunnel dahinter verließ
sie das Glück.
Sie waren
so erschöpft, dass sie zusammenblieben. Jacob stützte Clara, auch wenn ihm die
Blicke, die Fuchs ihm zuwarf, nicht entgingen. Die ersten Goyl, die ihnen
begegneten, kamen von der Jagd. Sie waren zu sechst und hatten eine Meute
zahmer Wölfe dabei, die ihnen selbst in die tiefsten Höhlen folgten. Zwei
Knechte führten die Pferde mit der Beute: drei der großen Echsen, deren
Stacheln die Goylkavallerie auf den Helmen trug, und sechs Fledermäuse, deren
Hirn angeblich eine Delikatesse war. Keiner der Jäger warf Jacob mehr als einen
schnellen Blick zu, als sie ihre Pferde an ihm vorbeitrieben. Doch die
Goylpatrouille, die plötzlich aus einem der Seitentunnel auftauchte, war neugieriger.
Es waren drei Soldaten. Einer von ihnen war ein Alabastergoyl - die Hautfarbe,
die viele ihrer Spione hatten.
Sobald
Valiant ihnen den Händler nannte, dem Jacob angeblich gehörte, wechselten sie
einen raschen Blick. Der Alabastergoyl griff nach der Pistole, während er
Valiant eröffnete, dass sein Handelspartner wegen illegaler Mineraliengeschäfte
verhaftet worden war, aber der Zwerg war schneller. Er schoss den
Alabastergoyl vom Pferd und Jacob warf dem zweiten das Messer in die Brust.
Valiant hatte es in einem der Läden auf der Palastbrücke gekauft und die
Klinge fuhr ohne Mühe durch seine Zitrinhaut. Jacob schauderte, als er begriff,
wie sehr er sie alle töten wollte. Fuchs sprang dem Pferd des dritten zwischen
die Beine, doch der Goyl brachte es unter Kontrolle und galoppierte davon,
bevor Jacob einem der Toten die Waffe aus dem Gürtel ziehen konnte.
Valiant
stieß einen Fluch aus, den selbst Jacob noch nie gehört hatte, und während die
Hufschläge des galoppierenden Pferdes noch in der Dunkelheit verhallten, erhob
sich ein Ton, der den Zwerg abrupt verstummen ließ. Er klang, als begännen
tausend mechanische Grillen in den Felsen zu zirpen, und um sie her wurden die
Steinwände lebendig. Käfer krochen aus Rissen und Löchern, Tausendfüßler,
Spinnen, Kakerlaken. Motten schwirrten ihnen ins Gesicht, Mücken, Schnaken,
Drachenfliegen. Sie setzten sich ihnen ins Haar und krochen ihnen in die
Kleider. Der Alarm der Goyl ließ die Erde atmen, und ihre felsige Haut atmete
Leben aus, krabbelnd, flatternd und beißend.
Sie
stolperten weiter, fast blind in der Dunkelheit, um sich schlagend, und zertraten,
was ihnen entgegenkroch. Keiner von ihnen wusste noch, wo sie hergekommen waren
oder in welcher Richtung der Weg nach draußen lag. Um sie her zirpten weiter
die Wände und das Licht der Taschenlampe war ein tastender Finger in der
Dunkelheit. Jacob glaubte, Hufe in der Ferne zu hören, Stimmen. Sie steckten in
der Falle, einer endlos verzweigten Falle, und die Angst ließ ihn die
Verzweiflung vergessen, die er in der Zelle gespürt hatte, und weckte wieder
den Willen zu leben. Nur leben, nichts weiter, und wieder ans Licht kommen.
Luft atmen.
Fuchs
bellte und Jacob sah sie in einem Seitengang verschwinden. Ein kühler Windzug
strich ihm übers Gesicht, als er Clara mit sich zerrte. Licht fiel eine weite
Treppe hinunter, und da waren sie: die Drachen, von denen der Fährmann erzählt
hatte. Aber sie waren aus Metall und Holz und die erwachsenen Brüder der
Modelle, die verstaubt über dem Schreibtisch von John Reckless hingen.
41
FLÜGEL
Der Alarm
war auch in der Flugzeughöhle zu hören, aber dort kroch nichts aus den Wänden.
Sie waren versiegelt und begradigt und durch einen weiten Tunnel fiel eine
Ahnung von Tageslicht. Zwischen den Flugzeugen standen nur zwei unbewaffnete
Goyl: Mechaniker, keine
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