Funke, Cornelia
Röcheln - und sie lebten noch.
Valiant
kletterte stöhnend auf die Tragfläche und übergab sich unter einem Baum. Der
Zwerg hatte sich die Nase aufgeschlagen, und Clara hatte ein Zweig die Hand
verletzt, aber ansonsten waren sie unversehrt. Fuchs war so glücklich, festen
Boden unter den Pfoten zu spüren, dass sie dem ersten Kaninchen nachsprang, das
den Kopf aus dem Gras hob.
Die
Füchsin warf Jacob einen erleichterten Blick zu, als sie zu ihrer Linken den
Hügel mit der Ruine bemerkte. Sie waren tatsächlich nicht weit entfernt von
Schwanstein. Aber Jacob starrte auf die Gleise, die sich am Fuß der Anhöhe wie
eine Eisennaht nach Süden zogen, nicht bloß nach Schwanstein, sondern weiter,
sehr viel weiter ... bis nach Vena, in die Hauptstadt der Kaiserin. Er glaubte,
die fünf Brücken vor sich zu sehen, den Palast, die Türme der Kathedrale ...
»Reckless!
Hörst du mir überhaupt zu?« Valiant wischte sich mit dem Ärmel das Blut von der
Nase. »Wie weit ist es noch?«
»Was?«
Jacob starrte immer noch auf die Gleise.
»Zu deinem
Haus. Mein Goldbaum!«
Jacob
antwortete nicht. Er blickte nach Osten, wo der Zug, der sie hatte abstürzen
lassen, zwischen den Hügeln auftauchte. Weißer Rauch und schwarzes Eisen.
»Fuchs.«
Er kniete sich neben sie. Ihr Fell war immer noch zerzaust vom Wind. »Ich will,
dass du Clara zu der Ruine zurückbringst. Ich komm in ein paar Tagen nach.«
Sie fragte
ihn nicht, wohin er wollte. Fuchs blickte ihn an, als wüsste sie es seit
Langem. So war es schon immer gewesen. Sie kannte ihn besser als er sich
selbst. Aber Jacob sah ihr an, dass sie es müde war, Angst um ihn zu haben. Und
der Zorn war zurück. Sie hatte ihm weder das Lerchenwasser vergeben noch die
Tatsache, dass er ohne sie in die Festung gegangen war. Und nun würde er sie
wieder zurücklassen. Gib endlich
auf!, sagten ihre Augen.
Wie, Fuchs?
Jacob
richtete sich auf.
Der Zug
wuchs und fraß die Wiesen und Felder in sich hinein. Fuchs sah ihm entgegen,
als säße der Tod selbst darin.
Zehn
Stunden bis nach Vena. Und dann,
Jacob? Er wusste nicht einmal, wann genau die Hochzeit war. Aber
er wollte nicht denken. Seine Gedanken waren aus Jade.
Er
stolperte die Anhöhe hinunter. Valiant rief ihm entgeistert nach, aber Jacob
blickte sich nicht um. Die Luft füllte sich mit Rauch und dem Lärm des Zuges.
Er rannte schneller, klammerte sich an Eisen, fand Halt auf einem Trittbrett.
Zehn
Stunden. Zeit zu schlafen und alles zu vergessen. Bis auf das, was die Rote Fee
ihm über ihre dunkle Schwester verraten hatte.
43
HUND UND WOLF
T ramwagen, Kutschen, Karren, Reiter. Fabrikarbeiter, Bettler und Bürger.
Dienstmädchen in gestärkten Schürzen, Soldaten und Zwerge, die sich von ihren
menschlichen Dienern durch das Gedränge tragen ließen. Jacob hatte die Straßen
von Vena noch nie so überlaufen gesehen, und er brauchte fast eine Stunde vom
Bahnhof zu dem Hotel, in dem er immer abstieg, wenn er in die Hauptstadt kam.
Die Zimmer hatten mehr mit der Schatzkammer eines Blaubarts gemein als mit den
kargen Kammern in Chanutes Gasthaus, aber Jacob gefiel es, ab und zu in einem
Himmelbett zu schlafen. Außerdem be zahlte er eins der Zimmermädchen
dafür, dass sie immer ein paar frische Kleider für ihn bereithielt, die selbst
für eine Audienz im Palast gut genug waren. Das Mädchen verzog keine Miene, als
er ihm seine mit Blut und Schmutz bedeckten Kleider gab. Sie war solche Flecken
von ihm gewohnt.
Die
Glocken der Stadt schlugen zwölf, als Jacob sich auf den Weg zum Palast machte.
An vielen Hauswänden waren Anti-Goyl-Parolen auf die Plakate mit dem Foto des
Brautpaars geschmiert. Sie wetteiferten mit den pompösen Schlagzeilen, die die
Zeitungsverkäufer an jeder Ecke verkündeten: Ewiger Frieden ... Historisches Ereignis ... Zwei mächtige Reiche ... Unsere
Völker ... Dieselbe Vorliebe für große Worte auf beiden Seiten des
Spiegels.
Jacob
hatte dem Hoffotografen, der das Brautpaar verewigt hatte, vor einem Jahr
selbst Modell gestanden. Der Mann verstand sein Handwerk, aber die Prinzessin
machte es ihm nicht leicht. Die Schönheit, zu der die Feenlilie Amalie von
Austrien verholfen hatte, war kalt wie Porzellan, und ihr Gesicht war auch im
echten Leben so ausdruckslos wie auf den Plakaten. Ihr Bräutigam dagegen sah
selbst auf den Fotos aus wie steingewordenes Feuer.
Die
Menschenmenge vor dem Palast war so groß, dass Jacob Mühe hatte, sich zu dem
schmiedeeisernen Tor durchzudrängen. Die
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