Funkensommer
darüber nachzudenken. Ich drücke auf Eingabe. Der Computer brummt.
»Du suchst nach einem schwedischen Wort?«, fragt Papa belustigt, als eine Seite auf dem Monitor aufscheint. Es ist ein Übersetzungsprogramm »Willst du denn jetzt auch noch Schwedisch lernen? In den Ferien?«
Ich lächle mühsam, als ich kapiere, welches Wort ich in der Eile eingegeben habe. Es könnte nicht peinlicher sein. Zum Glück weiß Papa nicht, was damit gemeint ist.
»Was ist denn Gnistsommar?« ,liest Papa laut vor. »Das würde mich jetzt auch interessieren. Drück doch mal«, sagt er.
Widerwillig drücke ich auf Enter. Der Computer brummt. Der Computer keucht. Etliche Sekunden vergehen. Dann tut sich etwas auf dem Bildschirm und der Klapperkasten spuckt die gewünschte Information aus.
»Ah, Funkensommer heißt das«, sagt Papa. »Und? Was soll das heißen? Was ist Funkensommer?«
Ich zucke mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe es vor Kurzem irgendwo gelesen … in einem Kreuzworträtsel glaube ich …«, druckse ich herum und bete heimlich, dass Papa endlich verschwindet.
Doch der bleibt seelenruhig neben mir stehen und betrachtet den Monitor. »Das ist schon ein Wunderding, das Internet. Was man da alles herausfinden kann. In null Komma nichts. Egal, ob es einen Sinn hat oder nicht. Wobei mir grad einfällt, dass vielleicht der heutige Spruch vom Bauernkalender dazu passt. Wie war das noch gleich?« Er holt Luft und sagt mit dramatischer Stimme: »Wer ins Feuer bläst, dem fliegen leicht die Funken in die Augen. « Er grinst, rückt sich den Stallhut zurecht und stiefelt Richtung Tür. Endlich!
Erleichtert atme ich auf, da dreht Papa sich noch mal um und meint: »Ach, Hannah, was ich dich noch fragen wollte: Ist Raphael gestern zu Hause gewesen? Beim Frühstück war er nämlich nicht da. Und sein Bett sieht so aus, als ob er diese Nacht gar nicht darin geschlafen hätte …«
Ich halte die Luft an. »Keine Ahnung.«
»Mhm«, macht Papa und sieht mich misstrauisch an. »Ist alles in Ordnung bei euch?«
»Jaaaa.« Mein Herz klopft nun rasend schnell und ich bin froh, dass Papa das nicht sehen kann.
»Wenn du meinst«, sagt er schließlich. Dann macht er endlich die Tür hinter sich zu.
Uff, das war knapp. Beinahe hätte mein Vater die Seite mit den Drogen entdeckt. Obwohl – vielleicht wäre das gar nicht so schlecht gewesen, denn dann wäre es mir erspart geblieben, weiterhin darüber zu grübeln, ob ich etwas sagen soll oder nicht. Ganz zu schweigen von den vielen Lügen, die ich derzeit meinen Eltern auftische. Ob das gut geht?
Gedankenverloren starre ich auf den Klapperkasten. Ein Wort. Ein einzelnes. Funkensommer, steht da. Welche Bedeutung es wohl haben könnte? Ich denke an Gnist und Sommar und an die Küsse, die sie sich heimlich hinter dem Strohrundballen geben. Und an das gelbe Kornfeld mit dem himmelblauen Horizont und den Abertausenden Schäfchenwolken. Vielleicht, überlege ich, heißt Funkensommer ja so etwas wie: Es sprühen die Funken im Sommer, vor … ja, vor was eigentlich?
Vor Wut? Vor Angst? Vor Liebe? Oder was?
Wahrscheinlich heißt Funkensommer eben alles! Darin steckt bestimmt die ganze Palette von Dingen, die das Leben so zu bieten hat. Und wenn ich darüber nachdenke, dann ist dieser Sommer ja auch so etwas wie ein Funkensommer für mich. Mein ganz persönlicher Funkensommer …
So ein mistiges Timing! Gerade, als ich mir das Fahrrad aus der Garage schnappen will, kommt mein Bruder nach Hause. Dabei wollte ich eben zu Finn an den See radeln. Aber Raphaels finstere Miene, als er aus dem Auto steigt, kann ich nicht ignorieren. Darf ich nicht ignorieren. »Wir müssen reden«, sage ich deshalb.
Raphael schweigt. Er sieht mich nicht einmal an, als er an mir vorübergeht.
»Wir müssen reden, habe ich gesagt!« Dieses Mal schon etwas lauter. Nun weiß ich ja, wie ich mich gegen ihn zur Wehr setzen kann. Denn nicht nur ich hatte ein Geheimnis, das bis vor Kurzem keiner kannte. Sondern auch mein Bruder. Und deshalb muss das jetzt sein.
Raphael aber geht weiter.
»Mama und Papa haben mir den ganzen Tag in den Ohren gelegen. Sie machen sich Sorgen. Weil sie mitbekommen haben, dass du letzte Nacht nicht zu Hause warst.«
Raphael greift nach der Klinke der Garagentür.
»So geht das nicht! Hörst du?!«, rufe ich.
Er lacht leise. »Das sagst ausgerechnet du? Wer hat denn was mit dem Sohn meines Chefs? Hä?«
Ich sehe meinen Bruder an, der sich immer noch nicht zu mir umgedreht hat.
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