Funkensommer
ganz uninteressant sein könnte.« Sie liest ihn uns vor. Und dann verabschieden wir uns von ihr und fahren unter dem Licht des Vollmondes nach Hause. Mit Antonias Spruch im Gepäck.
Unter dem Weißmond
Antonia hat mir nicht die Hände aufgelegt, und doch geht es mir besser. Auch wenn eine grausame Wahrheit dabei ans Licht gekommen ist. Ich weiß nicht warum. Aber das Gefühl, das vorher die ganze Zeit in meinem Bauch rumort hat, ist nun verschwunden. Vielleicht ist es dort geblieben. Im Haus der Handauflegerin. Oder ich habe es herausgeredet. Das kann auch sein. Jedenfalls ist es weg. Und das ist gut so.
Auch meinem Bruder scheint es besser zu gehen. Immerhin fauchen wir uns auf der Rückfahrt nicht an. Reden tun wir aber auch nicht. Dafür hören wir Radio. Das weiße Licht des Vollmonds streift die hohen Maisfelder, die an uns vorüberziehen. Hie und da taucht zwischen dem Meer aus Mais ein Haus auf, in dem noch Licht brennt. Dann wird es dunkel. Und ich muss mich zusammenreißen, dass meine Augen nicht zufallen, so müde bin ich. Zum Glück taucht irgendwann hinter der großen Vollmondscheibe am Himmel dann doch die Kirchturmspitze von Tieglitz auf und ich stöhne: »Endlich!«
»Das kannst du laut sagen!«, brummt Raphael und lenkt das Auto in Richtung Hof. Als wir dort angekommen sind, stellt er den Motor ab. Er streckt sich und gähnt: »Bin ich erledigt! Die Heimfahrt war nur noch anstrengend.« Er sieht mich von der Seite an. »Gut, dass du mitgekommen bist, Hannah.«
Überrascht schaue ich zu meinem Bruder rüber. Das Licht des Mondes scheint zum Autofenster herein. Ich erkenne an seinem Gesicht, wie schwer es ihm gefallen ist, das zu sagen.
»Finde ich auch!«, sage ich deshalb.
Kurze Stille. Gegenseitiges Zunicken. Und dann lächeln wir uns an. So wie früher. Ich kann es kaum glauben! Und es kommt mir vor, als ob Antonias Spruch aus dem Kofferraum gekraxelt wäre und zwischen uns Platz genommen hätte.
»Das mit Finn geht übrigens jetzt klar«, sagt Raphael daraufhin. »Auch wenn ich nicht glaube, dass er hierbleiben wird. Der Chef, also … sein Vater«, korrigiert er, »wird das nicht zulassen. Er kann ziemlich tyrannisch sein!«
Ich nicke langsam. »Hab ich mir schon gedacht«, sage ich traurig. »Aber Antonia hat recht. Egal, ob Finn nach England geht oder nicht. Ich mag ihn trotzdem … daran wird sich nichts ändern …«
Auch Raphael nickt.
»Und egal, was mit Jellys Vater passiert ist …«
»Lass es sein«, sagt Raphael leise. »Diese Sache ist erledigt.«
Ich schüttle den Kopf. »Nein, eben nicht. Ich glaube, das weißt du genauso gut wie ich. Deshalb solltest du wissen …« ich sehe ihm fest in die Augen, »Jellena hat nichts mit Tobias.«
»Was? Blödsinn!«, schnaubt Raphael und sein Gesicht bekommt im Vollmondlicht ein trotziges, wenn auch müdes Leuchten.
»Glaube mir«, sage ich eindringlich. »Anfangs … ja … da lief kurze Zeit etwas zwischen den beiden. Aber auch nur, weil sie Tobias durch Finn und mich kennengelernt hat. Dann aber hat sie ihn abserviert, weil … sie dich nicht aus dem Kopf kriegt.«
Raphael blinzelt.
»Ehrenwort! Sie hat mir alles erzählt. An diesem Sonntag, nachdem du sie im Q10 gesehen hast. Weißt du, Jelly hat nur mit Tobias getanzt, um dich eifersüchtig zu machen.«
Raphael legt den Kopf gegen die Autoscheibe.
»Und das scheint ihr auch irgendwie gelungen zu sein«, sage ich weiter, weil er mir jetzt doch zuzuhören scheint. »Deshalb solltest du mit ihr reden. Ihr sagen, welche Gefühle du noch für sie hast. Denn sie hat sie auch für dich …«
»Meinst du?«, sagt Raphael schließlich.
Ich nicke. »Ja, da bin ich mir ganz sicher.«
»Aber ihr Vater …«
Ich schüttle den Kopf. »Ja, das ist wirklich eine Wucht! Vor allem, weil Jellena fest davon überzeugt ist, er hätte sie damals sitzen gelassen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass alle uns die ganze Zeit über belogen haben. Echt schlimm! Doch Jellena kann nichts dafür, verstehst du?«
Raphael seufzt erschöpft. »Ja, schon klar! Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt mir mein Verhalten auch blöd vor. Weißt du …«, er hält inne und schaut zum Bauernhaus rüber, »… vor dem Anfall hat es für mich nichts Wichtigeres gegeben, als später mal den Hof zu übernehmen. Seit ich denken kann, wollte ich schon immer Bauer werden. Und als Papa mitgekriegt hat, dass da etwas mit Jelly läuft, hat er mich gefragt, wie ich mir denn das so vorstelle. Jelly sei keine
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