Funkensommer
Wenn du also mit Finn weiterhin zusammen sein willst, dann solltest du ihm klarmachen, dass er Raphael in eure Sache nicht mit reinziehen darf. In Ordnung?«
»Ja«, murmle ich.
»Und mit eurer Freundin«, sagt Antonia weiter, »mit der solltet ihr dringend reden. Wenn jemand nur noch weint und nicht mehr damit aufhören kann, dann ist das nicht gesund! Du kannst sie gerne einmal mitbringen, Raphael«, schlägt sie vor. »Vorausgesetzt, du willst?!«
Raphael zögert. »Ich will ja … ich meine … Jelly, sie ist … es ist hoffentlich nicht so … wie bei ihrem Vater …«, druckst er herum.
Antonia schüttelt den Kopf. »Was meinst du damit? Was soll nicht so wie bei ihrem Vater sein? Was ist mit ihm?«
Überrascht horche ich auf.
Mein Bruder zuckt mit den Schultern. »Jelly ist echt super! Ich hab sie schon immer …«, er bricht ab und wird rot dabei. Verlegen sieht er zu mir rüber und ich wende rasch den Blick ab, damit er ungestört weitererzählen kann.
»Ich wollte Jellena nicht wehtun«, erklärt Raphael. »Eine Zeit lang war alles super mit uns! Aber dann hat mein Vater davon Wind bekommen und etwas erzählt …« Er bleibt stecken. »Und das hat mich stutzig gemacht. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen soll. Es ist irgendwie komisch. Kurz darauf habe ich den Anfall gekriegt und mich verschanzt. Und jetzt hat sich das mit uns sowieso erledigt, weil Jellena mit einem anderen Typen zusammen ist!«
Antonia schüttelt den Kopf. »Also das nehme ich dir nicht ab, dass dieses Thema für dich erledigt ist, Raphael! Deshalb würde es mich schon interessieren, was dein Vater über Jelly gesagt hat. Immerhin hat es dich veranlasst, dich von ihr zu distanzieren!«
Raphael sieht Antonia gequält an. »Na ja, ihre Familie ist halt ziemlich anders.«
»Wie anders?«, will Antonia wissen.
Raphael senkt den Blick. »Kaputt ist sie. Also ihre Familie. Zuerst der Krieg in ihrer Heimat. Dann die Sache mit dem Vater …«
»Ja, was ist denn mit ihm?«, hakt Antonia nach.
Raphael stockt. »Er hat sich das Leben genommen …«
»Was? So ein Blödsinn!« Vor Schreck bin ich vom Sofa aufgesprungen und starre Raphael in sein blasses Gesicht. »Er ist zurück nach Bosnien, als der Krieg zu Ende war. Ich weiß das ganz genau! Und du weißt das auch! Karolina ist doch nach Bosnien gefahren, um ihn noch zu überreden, wieder zu ihnen zurückzukommen. Da hat Jelly zum ersten Mal bei uns übernachtet, weißt du noch?«
Raphael schaut weg. »Da war sie auf dem Begräbnis, Hannah!«
»Nein, das gibt es nicht!«, rufe ich. »Das ist unmöglich! Dann hätten sie uns doch alle belogen. Warum sollten sie so etwas tun?«
Raphael zuckt mit den Schultern.
»Das müsst ihr wohl mit euren Eltern klären«, seufzt Antonia. »Da kann ich euch jetzt nicht weiterhelfen. Nur sie können euch sagen, warum sie das getan und euch belogen haben. Vor allem eure Freundin! Für sie ist das ja besonders schlimm. Deshalb solltet ihr dringend mit ihr reden«, mahnt uns Antonia noch einmal. »Und vor allem solltet ihr euch nicht durch solche Tatsachen davon abbringen lassen, jemanden zu lieben, der euch wichtig ist. Egal ob sich der Vater das Leben genommen hat oder ob jemand für drei Monate nach England geht!« Sie steht auf und kramt einen kleinen Kalender zwischen den Büchern hervor. Sie blättert kurz darin, bis sie fündig wird, und sagt: »Hier steht etwas, das ich euch gerne mit auf den Weg geben möchte. Weil ich glaube, dass euch das helfen kann!«
»Oh nein«, stöhne ich, als ich merke, dass es sich dabei um einen Spruchkalender handelt. »Nicht schon wieder! Papa nervt mit seinem dämlichen Bauernregelkalender auch die ganze Zeit.«
Antonia schmunzelt. »Echt? Mein Vater hat das auch immer gemacht!« Sie verdreht die Augen. »Das nervte wirklich! Aber es gibt da eine Bauernregel, die heißt: Gott macht das Wetter und Menschen die Kalender! « Sie zwinkert mir zu. »Wenn dein Vater also das nächste Mal wieder mit einer Bauernregel daherkommt …«
»… werde ich ihm den Spruch unter die Nase reiben!«, sage ich grimmig.
Antonia nickt. »Genau so war es gemeint! Übrigens verhält es sich mit allen Kalendersprüchen so. Aber manche tragen dann doch einen Funken Weisheit in sich.« Sie deutet auf ihren Schoß, in dem der Kalender ruht, und sagt: »Wenn ihr wollt, nehmt diesen Spruch an. Vielleicht könnt ihr etwas damit anfangen. Wenn nicht, dann eben nicht. Jeder so, wie er will! Aber ich glaube, dass er für euch nicht
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