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funny girl

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Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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einer burkatragenden kurdischen Einwanderin in London. »Das ist das, was die Leute erwarten, wenn du so auf die Bühne kommst«, hatte er ihr gestern Abend immer wieder gesagt, während er in seiner Wohnung auf und ab getigert war. »Sie wollen erfahren, was hinter dem Schleier steckt.« Die Burka, die sie anfangs nur getragen habe, um unerkannt zu bleiben, sei jetzt ihr Markenzeichen, hämmerte er ihr ein, und das zwinge sie, jawohl, zwinge sie dazu, maßgeschneiderte Texte zu schreiben und so vorzutragen, dass es zu ihrer Rolle passte. »Es geht darum, einem westlichen Publikum die Augen zu öffnen und ihm die Wahrheit über die Welt zu erzählen, aus der du stammst.«
    Und jetzt, gerade einmal vierundzwanzig Stunden später, waren diese Texte geschrieben und einstudiert und wurden einem andächtig lauschenden Publikum präsentiert! Azimes erster professioneller Auftritt (und erst der zweite vor einem zahlenden Publikum) lief gut, oder – in Deniz’ Augen – zumindest so gut, dass ihm gleich eine ganze Wortkette in den Sinn kam: Werbung–Ruhm–Fernsehen–Englandtournee– Welttournee. Ihm war bereits klar, dass Azimes Programm für die USA prädestiniert war, wo die vom 11.   September angeheizte Stimmung jemanden wie Azime dringend nötig hatte. HBO -Special, Oprah, Weißes Haus. Azime war einfach das perfekte Gegengift zu George Bush. Die richtigen Texte, der richtige Ort, der richtige Zeitpunkt. Drei Orangen auf dem Spielautomaten. Klingeling. Azime musste bloß dafür sorgen, dass sie die Sache nicht vermasselte.
    Deniz raunte dem gelangweilten Barkeeper ins Ohr: »Das ist erst der Anfang einer Welttournee, die ich für sie plane. Bloß der Anfang! Welttournee! Produzent! Ich!«
    Der Barkeeper war nun endlich doch beeindruckt, machte Augen so groß und rund wie Golfbälle, und seine Lippen, mit denen er eben noch aus einem Strohhalm Cuba Libre geschlürft hatte, formten ein lautloses »Wow«. Deniz lächelte. Das Publikum war glücklich. Er war glücklich. Die ganze Welt war glücklich. Der Barkeeper war glücklich. Alles lief wie am Schnürchen.
    Als Azime unter lautem Beifall die Bühne verließ, wurde sie von zwei Journalisten bestürmt. Sie wich ihnen aus und schlüpfte in ihre Garderobe. Minuten später klopfte Deniz an die Tür, aber sie hatte von innen abgeschlossen, also ließ er sich von den Journalisten die Visitenkarten geben, versprach Exklusivinterviews und ließ Azime in Ruhe, damit sie wieder zu sich kommen konnte.
    Drinnen zog sie ihre Burka aus und setzte sich vor den Spiegel. Unzufrieden mit ihrem Auftritt, sagte sie zu ihrem Spiegelbild:
    »Ich heiße Azime. Ich komme aus Green Lanes. Und ich bin nicht schlecht.«
    Am Waschbecken spritzte sie sich mit den Händen kaltes Wasser ins Gesicht. Dann frischte sie vor dem Spiegel ihr Make-up auf. Sie war bereit zum Gehen. Als sie die Tür aufschloss, waren die Journalisten weg, aber der Inhaber des Clubs stand da und sagte: »Hi. Du warst klasse.« Dann bezahlte er sie. Ihr Anteil an den Einnahmen betrug 115   Pfund. Konnte man von so was tatsächlich leben?
    Als sie ihn fragte, wo Deniz sei, ihr Manager Deniz, zeigte er zur Decke: »Er ist oben am Fotokopierer und macht eine Kopie von dem Buchungsformular. Geh einfach hoch zu ihm. Kein Problem.«
    Im Obergeschoss war es größtenteils dunkel. Die Musik unten war so laut, dass man nichts hören konnte. Also hielt sie einfach auf die blinkenden Lichter aus einem der hinteren Büros zu, dessen Tür nur angelehnt war.
    Und da war Deniz. Der große, schlaksige Deniz, mit offenem Gürtel, die Unterhose halb heruntergezogen, die obere Hälfte des Hinterns nackt, sein Mund an einen anderen Mund gepresst, während er sich in der Umarmung eines Mannes wand. Die beiden stöhnten im gleichen Takt wie der Fotokopierer, der unablässig leere Blätter in ein Ablagefach spuckte. Azime musste hörbar die Luft eingezogen oder sonst irgendeinen Laut von sich gegeben haben, denn Deniz löste sich aus der Umarmung, um mit glasigen Augen nachzusehen, was los war. Azime starrte ihn an. Aus seinem Mund kam ein schlappes »Oh, Scheiße«. Beide wussten instinktiv, was der andere dachte. Azime machte auf dem Absatz kehrt, taumelte durch den dunklen Flur und hasste ihn, hasste ihn, aber vermisste ihn auch schon, während sie gegen Wände und ein Fahrrad stieß, das sie vorher nicht gesehen hatte, und schließlich gegen einen Stapel Kartons, aus denen hundert weiße Styroporbecher herausfielen, die unter ihren

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