funny girl
dabei wurde ein Knoten in der rechten Brust entdeckt. Die Polizei hat sich mit ihr und Dad auf eine Lösung geeinigt – ich soll zu Onkel Zaza ziehen. Onkel Zaza ist ziemlich cool. Er ist liberaler als Dad. Ich kann bei ihm wohnen, bis wir alle gemeinsam eine Lösung gefunden haben. Vielleicht hat Onkel Zaza ja sogar einen Job für R., dann können wir heiraten. Alles wird gut.
21. Februar
Heute habe ich mich von all den traurigen und einsamen Frauen im Frauenhaus verabschiedet. Eine von ihnen ist ein alter Junkie. Hilda. Hilda hat mich fest an sich gedrückt und mir einen Rat gegeben. Sie hat gesagt: »Du musst zornig werden.« Sie meint, ich bin viel zu nett. Sie hat gesagt, die Welt ist hart, und ich soll verdammt noch mal zusehen, dass ich auch hart werde, und zwar schnell. Das schreibe ich in meinem neuen Zimmer bei Onkel Zaza. Komisches Gefühl, hier zu sein. Ich bin 19!
6. März
Es ist wieder passiert. Ich weiß nicht, was ich machen soll!
4. April
0 802 354 6785
Der Eintrag vom 4. April war der letzte. Am 16. Mai war das Mädchen tot.
Azime las noch einmal den vorletzten Eintrag: »Es ist wieder passiert. Ich weiß nicht, was ich machen soll!« Und dann den letzten, war das eine Telefonnummer? Sie klappte das Tagebuch zu. In dem Café, in dem sie den ganzen Vormittag verbracht hatte, konnte man den Tag über für wenig Geld ein englisches Frühstück bestellen. Es war leer bis auf ein anderes Mädchen in einem T-Shirt mit der Aufschrift: WERD NICHT ERWACHSEN – ES IST EINE FALLE . Azime fragte sich, warum es für April und Mai keine Tagebucheinträge mehr gab. Und wieso hatte der Bruder ihr das Tagebuch überhaupt gegeben? Einfach nur, weil sie darin vorkam? Oder dachte er, sie könne womöglich etwas tun, was die Polizei versäumt hatte?
Sie klappte das Tagebuch wieder auf. Ja, bei dem letzten Eintrag konnte es sich nur um eine Telefonnummer handeln. Es war die richtige Anzahl von Ziffern – sollte sie jetzt sofort dort anrufen? Sie musste ja nichts sagen, wenn jemand abnahm, aber vielleicht sagte die Stimme am anderen Ende ja, wessen Nummer es war. Andererseits bestand die Gefahr, dass dann ihre eigene Nummer angezeigt würde. Sie bekam Herzklopfen bei dem bloßen Gedanken, die geheimnisvolle Nummer zu wählen. Du musst zornig werden. Ein Ratschlag, den Azime selbst gut gebrauchen konnte. Sie bezahlte ihren Kaffee von dem bisschen Geld, das ihr noch blieb, bis sie am Donnerstag zum ersten Mal Sozialhilfe bekam. Sie ging über die Straße zu einer Telefonzelle, steckte zwanzig Pence in den Schlitz und wählte nervös die elf Ziffern. Sie wartete. Erst nur Stille, dann eine weibliche Stimme – eine Automatenansage: »Die gewählte Rufnummer ist ungültig. Bitte legen Sie auf, und wählen Sie neu.«
9
AZIME : Hallo. Ich bin Azime. Ihr seht es mir ja schon an – mein Dad hat mehr als nur eine Frau. Ich glaube, in Fachkreisen nennt man das »Polygamie«… aber bei uns zu Hause reden wir nur von »Multitasking«. Als er seiner vierten Frau – die wir, um Verwechslungen zu vermeiden, »Frau Nummer vier« nennen – einen Ehering ansteckte, war da dieser Spruch eingraviert: »Für die Trägerin dieses Ringes«. Im Grunde können wir es uns leisten, dass drei von den Frauen sterben, ohne dass wir gleich den vollen Steuervorteil für Familien einbüßen. Wenn mein Dad etwas falsch macht, dann kriegt er nicht einfach nur eins übergebraten, er wird gevierteilt.
Ganz hinten in dem kleinen Comedy-Club, der jeden Donnerstagabend unter dem Motto »Offenes Mikro und Happy-Hour-Cocktails« stand, beobachtete Azimes neuer Manager, wie sich sein nervöser Schützling durch das Material arbeitete, das sie auf sein Drängen am Tag zuvor verfasst hatte. Er sah mit Genugtuung, dass die neuen Witze gut ankamen. Er hatte schon vorher das Gefühl gehabt, dass er sich in ihr nicht täuschte. Jetzt wusste er es.
Deniz lehnte sich über den Tresen zum Barkeeper und flüsterte (nicht ohne dass er sich vorher als Azimes Manager vorgestellt hatte) laut und vernehmlich: »Echt mutig.«
Deniz hatte schon einen Titel für die geplante Welttournee: Hinter dem Schleier. Mit nachdrücklichen Worten hatte er Azime erklärt, dass sie, wenn sie mit ihrem Auftritt weiterkommen wolle, Kirstens Rat befolgen und mehr über ihr eigenes Leben sprechen müsse; sie musste konkreter werden, eine klare Botschaft haben und dem Publikum das geben, was es erwartete, und in ihrem Fall waren das Einblicke in das Leben
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