funny girl
Schritten knirschten, als sie zur Treppe rannte.
Wieder vor der Tür, brauchte sie ein Ziel, einen Ort, an den sie fliehen, irgendein Versteck, wo sie drei Tage lang durchschlafen konnte. Aber dann lief sie doch einfach los, ohne Richtung und ohne Ziel. Sie konnte nicht aufhören zu weinen, fühlte sich verwirrt, todunglücklich und dumm. Welche moderne junge Frau machte die Art von Fehlern, die sie mit Deniz gemacht hatte? Lächerlich war das. Peinlich. Was musste er von ihr denken? Dieser Kuss auf die Wange neulich? Sie wand sich bei dem Gedanken. Was war schlimmer: Wenn einem eine andere Frau vorgezogen wurde oder wenn es ein Mann war? Sie bezweifelte, dass sie sich jemals mehr als eine sexuelle Null fühlen würde, für Männer egal welcher Neigungen völlig irrelevant und unattraktiv.
Sie ging mit raschen Schritten, legte eine Strecke zurück, für die ein Promi einen Hubschrauber verlangt hätte. Ohne auf Stadtviertel und Straßennamen zu achten, legte sie es darauf an, sich zu verlaufen, und blieb erst stehen, als ein einfaches blinkendes Neonschild mit der Aufschrift »Hotel« vor ihr auftauchte.
Die Einrichtung des billigen Zimmers – des billigsten im ganzen Hotel, neununddreißig Pfund – bestand aus einem Einzelbett und einem Stuhl. Die Art von Zimmer, in der Leute sich umbrachten. Genau die richtige Umgebung für gedemütigte Mädchen, für die die Liebe kein Thema war. Ein Nichtraucherzimmer, in dem seit Jahren nur Raucher übernachtet hatten. Lauter Verkehrslärm und hin und wieder Sirenengeheul. Auf diesem billigen Bett schlief sie ein.
Als sie aufwachte, sickerte das Morgenlicht durch die vergilbten Vorhänge, die Farbe von alten Teebeuteln. Azime schaltete ihr Handy ein. Das Zimmer hatte Internetanschluss. Wenn die Gefangenen in den Todeszellen von Texas Internetzugang hatten, warum dann nicht auch sie? Sie lag in Unterwäsche auf dem zerwühlten Bett und las im Netz die ersten Kritiken ihres Auftritts vom Vortag.
Eine Überschrift bezeichnete sie als »aufgehenden Stern am Comedy-Himmel«. Dann googelte sie nach Bildern von sich. Sie fand ein Foto, das gestern Abend aufgenommen worden war: das Mikrophon, die Köpfe des Publikums, eine Frau in einer Burka mit erhobener Hand.
Schließlich öffnete sie ihren Facebook-Account.
Dort erwarteten sie sechzehn Nachrichten von Döndü, die fragte: »Wo steckst du?«, und ihr mitteilte: »Alle reden von dir, wirklich alle!«
Und dann eine Nachricht von einem Unbekannten.
Wie ich sehe, trittst du morgen Abend in Hackney auf. Ich werde da sein…
Eine zweite Nachricht, vom selben Verfasser, einem Medhi77.
… zusammen mit ein paar Freunden, du verdammte Hure. Mach dich bereit zum Sterben.
Sie ließ das Handy auf das Bett fallen wie eine heiße Kartoffel. Das war zu viel. Wie grauenvoll. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Sie rief den einzigen Menschen an, den anzurufen in diesem Augenblick einen Sinn hatte. Die Todesdrohung wog schwerer als ihre Wut auf ihn. Sie musste es dreimal versuchen, bis er dranging.
»Hi. Ich bin’s.«
»Azi!… Oh wow… Hör mal… Es tut mir echt leid.«
»Vergiss es. Hör mir einfach nur zu. Ich muss mit dir reden. Sofort.«
»Wie spät ist es?«
Sie fuhr mit dem Taxi zu seiner Wohnung. Wie sich herausstellte, hatte sie am Vorabend etwa zwölf Meilen zurückgelegt. Ihr wurde bei dem Gedanken schwindlig, wie elend sie sich gefühlt haben musste, dass sie wie in Trance so weit gelaufen war. Was für ein Abend. Was passierte mit ihrem Leben? Wie konnte ein Mensch wie sie, ein harmloser, friedfertiger Mensch, der kaum je den Mund aufgemacht hatte, so viel Zorn und Feindseligkeit wecken?
Sofort, als Deniz die Tür aufmachte, brach sie in Tränen aus. Im Wohnzimmer umarmte er sie, entschuldigte sich noch einmal, dass er ihr nie die Wahrheit über sich gesagt hatte.
»Vielleicht tröstet es dich, dass du’s als Erste erfährst. Meine Familie, meine anderen Freunde haben alle keine Ahnung. Nur schade, dass du’s auf diese Art erfahren musstest.«
Dann las er die Einträge auf ihrer Facebook-Seite. »Aha… okay…«, sagte er und dann, dass sie nicht in Panik geraten solle.
Anschließend ging er in seinem gestreiften Pyjama in die Küche, um ihr einen Tee zu machen. Als das Wasser kochte, sagte er, sie müsse diese Drohungen einfach ignorieren. »Morddrohungen sind in diesem Metier üblich und heute an der Tagesordnung. Sie haben nicht mehr den gleichen Stellenwert wie früher. Genau genommen, sind sie sogar cool,
Weitere Kostenlose Bücher