funny girl
blitzten Halsketten, an den Handgelenken teure Armbanduhren. Aus ihren hochgeschobenen Manschetten reckten sich behaarte Unterarme. Diese beiden Burschen, von Jugend an gerissene Aufsteigertypen, hatten sich gegen Banden behauptet, die darüber entscheiden wollten, wer in ihrem Viertel reich wurde und wie reich. Inzwischen zahlten sie niemandem mehr Schutzgeld. Sie waren ihre eigenen Herren. Jeder in Green Lanes kannte Omar oder Raza oder beide.
»Der Motorroller hat eine Fahrgestellnummer«, erklärte Raza. »Da setzen wir an. Wir telefonieren ein bisschen rum. Vielleicht kriegen wir so einen Namen raus, eine Adresse, aber vielleicht auch nicht. Der Roller ist höchstwahrscheinlich geklaut. Nur ein Vollidiot würde seinen eigenen Motorroller dafür nehmen.«
Die versammelte Familie Gevaş starrte ihn an.
»Wie lange? Wie lange wird das dauern?«, wollte Aristot wissen.
Raza warf dem zwei Jahre älteren Omar einen Blick zu, aber der zuckte nur mit den Schultern, schob seinen Hintern direkt vor Azime auf den deckchenverzierten Couchtisch und redete mit leiser, besonnener Stimme auf sie ein. Wer aus ihrem Bekanntenkreis wäre zu so etwas fähig? Steckte am Ende dieser Deniz dahinter? Okay, wenn nicht er, wer dann? Denk nach, denk nach.
Aber Azime fiel niemand ein. Es kam praktisch jeder in Frage, jeder, der ihren Auftritt oder den Clip auf YouTube gesehen hatte und einen mörderischen Hass auf eine junge Frau hegte, die nur das tat, was ihr Menschenrecht war. Wie viele hasserfüllte Menschen gab es da draußen, wie lang war die Liste von ganz gewöhnlichen Menschen, die bereit waren, einer jungen Frau Säure ins Gesicht zu schütten, das Auto, in dem sie mit ihren Schwestern saß, in einem Kanal zu versenken oder sie kurzerhand vom Balkon zu werfen, wenn sie ihnen lästig wurde? Vielleicht fünf, vielleicht aber auch fünfhundert allein in London und Umgebung – woher sollte man das wissen? Der Grund für einen derartigen Hass, davon war Azime überzeugt, war der, dass Menschen, denen ein schönes Leben versagt blieb, nichts mehr hassten, als mit anzusehen, wie jemand, dem es eigentlich noch dreckiger gehen sollte, ein schönes Leben bekam. So etwas brachte die göttliche Weltordnung ins Wanken, genau die Weltordnung, die bestimmte, dass Mäuse niemals brüllen durften.
Deniz war fleißig gewesen. Er platzte fast vor Aufregung, als er Azime sah. Es gab Neuigkeiten. Er hatte gerade eine Morddrohung erhalten. »Dabei hab ich nichts weiter getan, als eine Nachricht zu posten. Ich kann sie dir zeigen: ›Ich muss mich für meinen letzten Witz entschuldigen. Ich wollte damit niemandes Gefühle verletzen. Ich habe ihn jetzt gelöscht. Tut mir leid.‹«
»Was für ein Witz?«, fragte Azime.
»Es hat nie einen gegeben. «
»Versteh ich nicht.«
»Der Witz war, dass gar kein Witz da war. Ich hab mich einfach nur für etwas entschuldigt, das es nie gegeben hat. Das ist der ganze Witz.«
»Kapier ich nicht. – Wieso solltest du dann eine Morddrohung bekommen?«
»Aber das ist es doch gerade. Sachen müssen überhaupt nicht existieren, damit die Leute glauben, dass es sie gibt. Komm, ich erzähl dir, wie das gelaufen ist.«
Er setzte sich in seinen speckigen Sessel, mal wieder ganz der Fürst der Erwerbslosen.
»Nachdem ich meine Nachricht getwittert hatte, haben mir ein paar von meinen Comedy-Kumpels mit so Zeug geantwortet wie: ›Der Witz war echt eine Zumutung. Voll daneben. Du solltest dich schämen‹, oder: ›Diesmal bist du wirklich zu weit gegangen, Deniz. Ich nehme deine Entschuldigung NICHT an.‹ Das hat eine Lawine ausgelöst. Andere sind auf den Witz eingestiegen. Und dann wurde es übel, richtig übel. Einige Leute haben den Witz nicht kapiert und tatsächlich geglaubt, ich hätte was Beleidigendes gesagt. Und das hat sich in Windeseile rumgesprochen. Bestimmt, ganz bestimmt musste ich was richtig Schlimmes gesagt haben. Die ganze Aufregung musste schließlich einen Grund haben, ’stehst du? Kein Rauch ohne Feuer. Ein Typ hat sogar behauptet, er hätte den Witz gelesen und es sei ein Angriff auf sämtliche Gläubigen und religiösen Menschen in aller Welt gewesen; Leute wie mich müsse man zum Schweigen bringen. Vielleicht war das ja auch ein Witz, aber das hat dann keiner mitgekriegt. Danach gab’s kein Halten mehr. Ich hätte etwas Unverzeihliches gegen die Religion gesagt, da waren sich alle einig. Es war unglaublich. Mittlerweile habe ich sogar Tweets von professionellen Liberalen gekriegt,
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