funny girl
Sie hatte alle Charakterfehler seiner Schwester ausgebügelt. Manche Leute, so schloss er, brauchten offenbar ein deutliches Warnsignal.
Aber es war auch einfach schön, dass Azime zurück war. Das Haus sprühte jetzt wieder vor Energie. Die Grabesstimmung während ihrer Abwesenheit hatte ihn deprimiert, die Tage, an denen er mit seinen missmutigen Eltern allein und sogar Döndü bedrückt gewesen war, so dass es keinen Streit beim Essen gegeben hatte, keine wütenden Fausthiebe auf den Tisch, keinen Verstoß gegen die Regeln, keinen Grund für seine Mutter, auf ein Zimmer im ersten Stock zu zeigen und zu rufen: »Zehn Tage, zehn Tage.« Eintönig und öde. Langweilig. Kein Vergnügen, ein Gevaş zu sein.
Allerdings hatte er nicht vor, seiner älteren Schwester zu zeigen, wie dankbar er war. Immer schön cool bleiben, damit sie nur ja nicht vergaß, wer hier das Sagen hatte. Als sie mit Döndüs Kopftuch fertig war und ihn ansah, drehte er sich lieber um und ging weg.
Was sollte er jetzt mit dem Tag anfangen, einem Tag, an dem er eigentlich für seine Abschlussprüfungen hätte lernen müssen, die bedrohlich näher kamen wie ein wütender Pitbull. Er schnappte sich seine Jacke und machte sich auf den Weg zu den Jungs.
Er fühlte sich heute nicht gut. Es hatte etwas mit Azime zu tun, mit der Tatsache, dass ein Fremder ihm seinen Job als Bestrafer wegnehmen, dass jemand, der nicht zur Familie Gevaş gehörte, noch weitaus mehr tun wollte, als Azime zu schlagen – jemand wollte sie umbringen! Das konnte er nicht zulassen.
Zekis Kumpel, seine Gruppe kurdisch-sunnitischer Brüder, waren Schulfreunde, fünf Jungs, die sich regelmäßig hinter dem Teppichgeschäft von Sepis Vater trafen. Dort hatten sie einen kleinen Raum für sich, in dem es nach Teppichen roch, wenn nicht der Tabakrauch der älteren Männer im Nebenzimmer alle anderen Gerüche überlagerte. Hier konnten die jungen Männer reden, über Politik und den Koran diskutieren, über Mädchen, über lokale Ereignisse und die kleinen Schnurrbärte, die auf ihren Oberlippen sprossen.
Zeki war in der Gruppe derjenige, der am ehesten den Titel Anführer verdiente, der Erste, der sich als Mann bezeichnet hatte. Ihm gefiel der Gedanke, wie viel Macht diese kleine Gruppe hatte. Zusammen waren sie stark. Die fleckenlose Reinheit ihrer Gemeinschaft rührte ihn. Sie war frei vom Makel der Illoyalität, und wenn es Meinungsverschiedenheiten gab, dauerten sie nie länger als ein paar Augenblicke. Es war, als bildeten sie einen einzigen Organismus, in dem der Virus eines eigenständigen Gedankens sofort von Antikörpern angegriffen und außer Gefecht gesetzt wurde. Sie existierten, damit Gott sich ihrer bedienen konnte, aber solange göttliche Anweisungen ausblieben, dienten sie einander.
Zeki sprach entschlossen: »Meine Brüder, wir müssen was unternehmen. Jemand hat gedroht, dass er meine Schwester kaltmachen will. Wir müssen rausfinden, wer dieser Jemand ist. Und ihn ausschalten.«
Ismail: »Sie kaltmachen – wieso denn?«
»Wegen dieser Comedy-Geschichte. Erst hat sie eine SMS gekriegt, und dann hat jemand einen Brief bei uns eingeworfen. Da stand drin, dass er sie kaltmachen will.«
Kemal: »Wenn du mich fragst, Zeki, dann hat sie es nicht anders verdient.«
Zeki stand hastig auf, durchquerte mit drei Schritten den Raum, packte seinen Freund, zog ihn hoch und brüllte »Ananin Ami!«, dann schlug er ihm ins Gesicht. Es war nicht das erste Mal, dass Zeki eine dämliche Bemerkung mit dem Fluch »bei der Fotze deiner Mutter« quittierte, aber es war das erste Mal, dass er einen seiner Freunde ins Gesicht schlug. Mit der flachen Hand ausgeführt, traf der Schlag nicht mit voller Wucht, aber er reichte immerhin aus, um Kemals Gesicht zur Seite zu schleudern, und als Zeki erneut ausholen wollte, wurde er von den anderen umringt und fortgezogen, weg von seinem verblüfften Bruder, der mit weit aufgerissenen Augen dastand.
»Nimm das zurück!«, schäumte Zeki. »Verdammt noch mal, du sollst das zurücknehmen!«
Kemal gab sofort klein bei: »Meinetwegen. Ich nehme es zurück. Aber du hättest mich nicht schlagen sollen, Bruder.«
Insgeheim war Zeki über seine eigene Reaktion überrascht, denn als er zum ersten Mal von der Morddrohung gegen Azime gehört hatte, hatte er selbst gedacht: ›Na, kein Wunder, dass sie jetzt jemand umbringen will.‹ Er verstand den Zorn derer, die es für ungehörig hielten, wenn eine muslimische Frau in einem billigen
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