funny girl
die mich für meine Tapferkeit beglückwünscht und mir ihre moralische Unterstützung angeboten haben. Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Als die Liberalen erst mal angefangen haben, mich dafür zu beglückwünschen, dass ich mein Recht auf Redefreiheit wahrgenommen habe, ging es los mit den Hassbotschaften. Echt übles Zeug. Und ich hab nur dagesessen und zugesehen, wie die Lawine immer größer wurde, unglaublich, bis es war, als ob eine Riesenwutwelle auf mich zurollt… und dann, Bingo, meine erste Morddrohung.«
Er zeigte Azime sein Handy.
Jemand sollte diesen Deniz kaltstellen. Endgültig.
Azime wandte ein, das könne einfach nur heißen, dass jemand Deniz’ Tweets aus dem Netz nehmen solle, aber Deniz erklärte ihr – immer noch in heller Aufregung, immer noch mit einem Lächeln –, sie solle weiterlesen.
Ganz meine Meinung. Man sollte ihm ein für alle Mal das Maul stopfen.
Und dann schließlich:
Ich kenne ihn. Ich nehm das in die Hand!!!!!!
Deniz war selig: »›Ich nehm das in die Hand.‹ Wie geil ist das denn? Und guck mal, wie viele Ausrufezeichen. Sechs Stück! Wer macht denn sechs Ausrufezeichen, wer außer Teenagern, die sagen, ihre Pyjamaparty wird super!!!!!! Kannst du dir einen Extremisten vorstellen, der sechs Ausrufezeichen macht? Ich sag dir, die stehen für sechs Kugeln. Oder sechs Messerstiche in die Brust. Ist das nicht hammergeil?«
Azime war entsetzt. »Wie kannst du über so was Witze machen? Du lächelst ja!«
»Weil’s so typisch ist für die Zeit, in der wir leben, ’stehst du? Es ist nur ein Tweet. Müll, totaler Schwachsinn. Niemand schickt einen Ninjakrieger los, der mich umlegen soll, weil ich irgendwas getwittert habe. Das sind einfach nur Leute, die sich zu Tode langweilen und versuchen, ihren ganzen Frust und ihre ganzen verdrängten Gefühle auf die Welt loszulassen, und das in Nachrichten, die nicht mehr als hundertvierzig Zeichen haben, ’stehst du? Die Tatsache, dass ich mich entschuldigt habe, dass ich in die Knie gegangen bin, war schon genug, um mich in Grund und Boden zu verdammen. Meine Entschuldigung hieß, dass man mir nicht verzeihen sollte, nicht verzeihen konnte. Entschuldigungen sind out. Und wenn’s doch einer tut, muss er sterben. Wer sich entschuldigt, muss sterben.«
Deniz holte tief Luft. »Also, Mädchen!« Er schüttelte den Kopf mit der Ernsthaftigkeit eines Philosophen, auf dessen Schultern neben seinen eigenen Sorgen die der gesamten Menschheit lasten. »Wir leben heute in einer Welt, in der sogar die Vegetarier ihr Pfund Fleisch fordern.«
Deniz war fertig. Er lehnte sich zufrieden in seinem Sessel zurück und nippte an einer Tasse mit kaltem Kaffee – wann hatte er den gekocht; heute Morgen, womöglich schon gestern oder letzte Woche?
»Und jetzt?«, fragte Azime.
»Wie jetzt?«
»Was hast du jetzt vor?«
»Die Polizei verständigen.«
»Die Polizei?«
»Ich verlange Polizeischutz. Klare Sache. Jedes Arschloch kriegt heute Polizeischutz, warum dann nicht ich? Bei der Weltmeisterschaft standen ein Schiedsrichter und ein Linienrichter unter Polizeischutz. Punkt eins. Diese alte Frau, die ihre Katze in die Mülltonne gesteckt hat, hat Polizeischutz gekriegt, nachdem Tausende auf Facebook ihren Kopf gefordert haben, weil sie ihre Mieze um die Ecke gebracht hat. Punkt zwei. Und ein türkischer Typ in Deutschland hat ihn gekriegt, weil er sich beschwert hat, seine Frau sei unersättlich, und er könnte deswegen nicht schlafen. Polizeischutz. Ich werd drauf bestehen. Einmal Rushdie komplett. Nicht mehr und nicht weniger. Zwei Bullen vor meiner Tür und Begleitschutz, wenn ich mir ’ne Tüte Milch kaufen geh. Das ist mein großer Augenblick. Auf den hab ich mein ganzes Leben gewartet, und ich werd ihn nach Kräften ausnutzen, im Namen aller Ausgenutzten dieser Welt. Die Presse habe ich auch schon angerufen.«
»Deniz!«
»Ich warte auf einen Rückruf vom Guardian, von dem Typen, der die Besprechung geschrieben hat. Ich hab ihm was auf den Anrufbeantworter gesprochen. Mal sehen, was draus wird. Was mit mir passiert, wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere ganze moderne Kultur. Die Welt ist verrückt. Total verrückt.«
Azime konnte das Lachen nicht unterdrücken. Es war, als mache sich all ihre aufgestaute Anspannung in diesem Augenblick Luft angesichts der großartigen Verrücktheit eines Ali Bin Ramezanzadeh. Im Vergleich zu Deniz’ Reaktion auf die Schwierigkeiten, die ja dieselben wie ihre waren, erschien ihr ihre
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