funny girl
eigene Reaktion übertrieben. Sie war in die Falle der Ernsthaftigkeit getappt. Deniz führte ihr das vor Augen. Der geniale Deniz, der durchgedrehte Deniz, der heilige Deniz, der nie vergaß, dass man lachen musste, was auch immer geschah.
»Vergiss nicht«, riet er ihr, »dass man auf der digitalen Autobahn mit einer Kriechspur rechnen muss, die allein den schweren, mit Scheiße beladenen Monstertrucks gehört.«
Auf dem Weg zur Polizeiwache bemühte sich Deniz nach Kräften, Azime davon zu überzeugen, dass sie wieder auftreten müsse. »Berühmtsein verändert dich nicht.«
»Ach nein?«
»Es bringt nur zum Vorschein, wer du wirklich bist. Wenn Berühmtsein jemanden plötzlich zum Arschloch macht, dann war der schon immer ein Arschloch. Er hat es nur versteckt.«
»Können wir das Thema wechseln?«
»Du darfst einfach keine Angst davor haben, berühmt zu sein. Du kannst dich vor allem fürchten, nur nicht vor dem Berühmtsein. Berühmtsein bedeutet Anerkennung. Und Anerkennung bedeutet einfach, dass du etwas tust, was andere nicht können oder nicht selbst tun wollen. Frag Kirsten. Du musst mit Kirsten reden. Erzähl ihr, was passiert ist. Und danach rufst du mich auf dem Handy an. Ich hatte nämlich einen Anruf von… halt dich fest… von Manny Dorfman.«
»Wer ist Manny Dorfman?«
»Wer Manny Dorfman ist?«
»Wer ist Manny Dorfman?«
»Nur der wichtigste Comedy-Veranstalter in London. Ein alter Jude. Kennt jeden, macht alles möglich. Er hat nach dir gefragt. Hat von dir gelesen. Ich hab gesagt, ich ruf ihn zurück. Aber dann bist du nicht mehr ans Handy gegangen.«
»Ich habe eine neue Nummer.«
»Mann, du wechselst deine Telefonnummer so oft, wie ich die Unterwäsche wechseln sollte. Genau genommen, sehr viel häufiger. Also, bevor du aus dem Auto steigst, gibst du mir deine neue Nummer. Ich bin schließlich dein Manager, vergiss das nicht.«
Vor der Polizeistation sah Azime zu, wie Deniz die breite Steintreppe hinaufstieg, wild entschlossen, aus einem kleinen Zwischenfall nach Möglichkeit eine landesweite Sensation zu machen. Sie wollte nicht mitgehen. Sie wollte nicht, dass man ihr ebenfalls Fragen stellte oder dass Deniz vor den Beamten ausplauderte, dass auch sie bedroht worden war, und das sehr viel massiver als er. Auf der obersten Stufe drehte er sich um und winkte mit einem breiten Grinsen.
Dann kam Azime etwas anderes in den Sinn: das tote Mädchen, umgebracht von der eigenen Familie; umgebracht, wie es diese jungen Männer vor dem Comedy-Club, die auf das Dach von Deniz’ Clio gesprungen waren, mit ihr hätten tun können, genau wie es andere ihr in diesem Augenblick wünschten. Dann dachte sie an die Botschaft ihrer Mutter, die Zeki ihr gesimst hatte, als sie von zu Hause weggelaufen war: dass sie, wenn sie jetzt weglief, für ihre Mutter für immer tot sein würde. Und dann an die Morddrohungen im Internet, an die Karte, die jemand bei ihr zu Hause in den Briefkasten geworfen hatte. In welchem Jahr lebte sie? Nicht 1363. Nicht achtzehnhundert-irgendwas. Nein, im 21. Jahrhundert. Konnte das stimmen? Wie wenig hatten endlose Jahrhunderte bewirkt, wenn auf jeden Verstoß gegen die Regeln immer noch die gleiche Höchststrafe stand?
Seit Zekis Ohrfeige waren nun schon Wochen vergangen.
Nicht, dass er weich geworden wäre oder seine Einstellung geändert hätte, aber seine ältere Schwester hatte sich in den letzten Tagen so gut benommen, dass es ihm, wenn er sie geschlagen hätte, irgendwie – wie sollte er sagen? extrem? überflüssig? – vorgekommen wäre.
Allein die Szene, die er jetzt von der Wohnzimmertür aus beobachtete. Wie Azime auf der Couch saß und Döndü dabei half, das Kopftuch für die Schule zu binden. Zeki hätte Döndü dabei nicht zur Hand gehen können. Er hatte Wert darauf gelegt, nicht zu lernen, wie solche Frauenangelegenheiten funktionierten. Er hatte keine Ahnung, wie man ein einfaches Stück Stoff so drapieren konnte, dass es ein Gesicht attraktiv einrahmte. Er hatte auch nicht gewusst, dass Azime, die sich schon vor langer Zeit entschieden hatte, den Hidschab nicht zu tragen, diese Technik trotzdem noch so gut beherrschte. Döndüs hübsches ovales Gesicht kam dadurch so gut zur Geltung, dass sie vielleicht gerade deswegen nach Ablauf ihres Probemonats in ein paar Tagen den Schleier nicht wieder ablegen würde. Das schien ihm doch zu zeigen, dass die Familie Gevaş mit Azime besser war als ohne.
Keine Frage, diese Morddrohung hatte Wunder gewirkt.
Weitere Kostenlose Bücher