funny girl
Comedy-Schuppen auftrat. Und er war selbst wütend gewesen, ganz zu schweigen von dem Stachel der Schande. Und selbst als ihnen die Morddrohung in Form dieses Briefes ins Haus geflattert war, hatte ihm eine innere Stimme gesagt, dass Azime damit rechnen musste; sie hätte es voraussehen können, hätte wissen müssen, dass sie eine so extreme Reaktion auslösen würde. Schließlich hatte es nie zuvor eine muslimische Frau gewagt, als Komikerin auf die Bühne zu treten. Glaubte sie etwa, dafür gebe es keine Gründe? Da konnte man die Schuld doch nicht nur bei denen suchen, die sich beleidigt fühlten. Sie hatte schließlich angefangen, und jetzt musste sie die Suppe eben auslöffeln. Wer mit dem Feuer spielt…
Andererseits: Als Kemal, einer von Zekis eigenen Brüdern, plötzlich laut aussprach, dass Azime den Tod verdiente, war das eine ganz andere Sache. Mit einem Mal war die Vorstellung, Azime könnte tatsächlich umgebracht werden, ganz real, direkt greifbar und erschreckend. »Sag so was ja nie wieder, verdammt!«, herrschte er Kemal an.
Kemal rieb sich den frischen roten Stern auf der Wange. Natürlich wolle er sich entschuldigen. Er habe es nicht so gemeint, sagte er kleinlaut. Es sei alles in Ordnung. Er würde es nie wieder sagen. Und dann meldeten sich auch die anderen zu Wort, redeten beruhigend auf Zeki ein. Natürlich hätte Azime das nicht tun dürfen, da waren sich alle einig, aber den Tod hatte sie nicht verdient, nicht einmal diese Belästigungen. Und wenn tatsächlich jemand bei der Familie Gevaş zu Hause aufgekreuzt war, dann war das ein Angriff auf die gesamte Gemeinde. Ein Angriff. Was die Gruppe jetzt tun konnte – nun, sie würden ihrem Bruder Zeki helfen herauszufinden, wer der Absender dieser Morddrohung war. Sie würden schon rauskriegen, wer zu Gewalt gegen Azime aufrief, und ihn zum Schweigen bringen.
»Okay«, nahm Zeki den Faden wieder auf. »Hört euch um. Vielleicht tut ihr ja so, als ob ihr selbst nicht glücklich seid über Azimes Verhalten, oder ihr sagt, dass euch das echt wütend macht… sollte manchen von euch ja nicht besonders schwerfallen… und passt auf, wer euch ein bisschen zu eifrig zustimmt. Auf die Weise kriegen wir das Arschloch.«
Damit gab er Kemal zum Spaß einen Klaps auf die andere Wange. Diesmal grinste sein Freund, klopfte Zeki auf die Schulter, und die beiden fielen sich in die Arme.
»Also abgemacht!«, fasste Zeki zusammen. »Wir sind im Krieg. Jemand hat unsere Gemeinschaft angegriffen. Verteidigen wir uns jetzt? Keiner krümmt unserer Schwester ein Haar.«
»Ich habe ein Date.«
Azime hatte ein Date. Eins, das sie selbst organisiert hatte. Und erst nachdem ein ganzer Tag verstrichen war, erst, als die verabredete Stunde schon fast gekommen war, erst, als sie sich hübsch gemacht hatte und die Treppe herunterkam, sagte sie es ihren Eltern.
»Ein Date?«, fragte Aristot ungläubig und blickte von der Zeitung auf. »Was denn für ein Date? Was redest du da? Ein Date wo? Mit wem?«
»Er heißt Emin. Er ist Türke.«
Sabite starrte ihre Tochter an, stumm vom Widerstreit zweier Gefühle: Entsetzen bei dem Gedanken an eine Verbindung, die sie nicht geplant hatte, Verblüffung, dass es auch nur einen einzigen noch in Frage kommenden Mann in London gab, den der Ehevermittler ihr nicht vorgeschlagen hatte.
»Ich bleibe nicht lange. Wahrscheinlich wird es sowieso wieder eine Katastrophe.«
Und bevor Aristot und Sabite ihr verbieten konnten zu gehen, stakste Azime schon auf hohen Absätzen durch den Vorgarten davon. Aristot lief ans Fenster. Kein Auto wartete.
»Aristot! Aristot!«, schrie Sabite.
Aristot zögerte nur eine Sekunde: »Zeki!«
Die Londoner City bei Sonnenuntergang: Büroangestellte, die in die Vorstädte strebten – ihren Schlaf brauchten, bevor sie die Innenstadt vielleicht wieder neu lieben konnten. Diesem Massenexodus stemmte sich Azimes Bus auf der Edgware Road entgegen, kämpfte sich stadteinwärts. Am Marble Arch stieg sie aus, steuerte die kleinen Straßen jenseits von Little Arabia an und hielt Ausschau nach dem gemütlichen Restaurant, dessen Namen sie sich auf einem rosa Post-it-Zettel notiert hatte, der jetzt irgendwo in den Tiefen ihrer neuen, eigens für diesen Abend erworbenen Handtasche steckte.
Emin hatte bereits an einem Tisch am Fenster Platz genommen, und eine einzelne Kerze warf bernsteinfarbenes Licht auf seine Züge. Er studierte die Speisekarte. Azime klopfte außen an die Fensterscheibe, und wie eine Figur in
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