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funny girl

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Titel: funny girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony McCarten
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einem Ölgemälde, die zum Leben erwacht, drehte er sich zu ihr hin und lächelte. Sie beugte sich vor, als ob sie ihn küssen wolle, hauchte aber nur auf die Scheibe, so dass sie wie in die Luft zwischen ihnen mit dem grünbehandschuhten Zeigefinger die Buchstabenschreiben konnte – kein obskurer Ausdruck, den nur ein vorüberkommender Türke hätte entziffern können, sondern einfach nur die englische Entschuldigung in Spiegelschrift, so dass sie von drinnen zu lesen war. Wieder hatte sie sich verspätet.
    Der Abend begann bestens. Sie bestellten Tee, das Gespräch wanderte wie von selbst vom Verkehr über das Wetter zur Lebensgeschichte. Mühelos. Alles. Sie hatte ja schon immer gewusst, dass es so sein sollte. Mühelos.
    Doch dann schaute Azime zum Fenster hinaus. Ein junger Mann mit Kapuze stand auf der anderen Straßenseite und starrte in ihre Richtung.
    Emin sah den Schrecken auf ihrem Gesicht und fragte: »Was hast du? Alles in Ordnung?«
    Sie wollte gerade sagen, sie leide unter Verfolgungswahn, da trat der junge Mann ohne Rücksicht auf den Verkehr auf die Straße und kam direkt auf sie zu. Es schien ihn nicht zu kümmern, wenn man ihn erkannte, denn er schritt geradewegs in den Lichtkegel des Restaurants, bis an das Fenster, wo sein Gesicht nun nur noch Zentimeter von dem ihren entfernt war. Er starrte Azime an, bis bei jedem Atemzug die Scheibe beschlug.
    »O nein«, stöhnte Azime.
    Emin erhob sich halb von seinem Stuhl: »Was ist los, verdammt? Wer ist das?«
    »Mein Bruder.«
    Der Blick des Bruders wanderte von Azime zu Emin und wieder zurück zu Azime. Er gab ihr mit einer Daumenbewegung zu verstehen, sie solle nach draußen kommen. Azime schüttelte den Kopf. Daraufhin verschwand ein wütender Zeki vom Fenster und stand im nächsten Moment am Tisch.
    »Verschwinde, Zeki«, befahl Azime.
    Doch Zeki war hier, um Befehle zu geben, nicht um welche entgegenzunehmen. »Nach Hause.«
    »Verschwinde.«
    Emin trat vor. »Hi. Ich bin Emin. Und du – ?«
    Als Antwort nur ein wütender Blick.
    »Nach Hause. Sofort.«
    »Ich sag’s nicht noch einmal«, warnte ihn Azime. »Verschwinde.«
    »Du kommst jetzt mit.«
    »Nein. Tu ich nicht. Hau ab!«
    Nach dieser Abfuhr bückte sich Zeki und packte Azimes neue Handtasche, deren Riemen sie im gleichen Moment zu fassen bekam. Doch er zerrte fester und riss sie ihr aus der Hand.
    Zeki war rot vor Wut. »Steh auf, sonst zerr ich dich an den Haaren hier raus. Das weißt du genau.«
    Emin war mindestens eine Handbreit größer als Zeki mit seinen einsachtundsiebzig und trat nun dicht vor den jungen Mann. »Nein, ich glaube nicht, dass du das tust.«
    »Das sind Familienangelegenheiten.«
    »Falls du es nicht gemerkt hast – wir sind hier in einem Restaurant. Und deine Schwester und ich wollten uns etwas zu essen bestellen. Möchtest du uns vielleicht Gesellschaft leisten?«
    Zekiwandte sich wieder an Azime: »Ich sag’s dir nicht noch einmal.«
    Mittlerweile verfolgten sämtliche anderen Gäste des Restaurants die Szene, und einige kräftiger gebaute Männer schienen im Begriff einzugreifen. Bevor es sich weiter zuspitzen konnte, stand Azime auf. »Augenblick nur. Ich bin gleich wieder da.«
    Ohne ihren Mantel ging sie nach draußen. Zeki, der noch immer die Handtasche umklammert hielt und jetzt auch noch ihren Mantel griff, hatte zum Abschied noch eine Botschaft für Emin. »Verpiss dich. Sonst gibt’s Ärger.«
    Draußen auf der Straße nahm Azime sich ihren Bruder vor, die Wangen dunkelrot vor Wut und Scham. »Mir reicht’s, endgültig.«
    »Baba hat gesagt, ich soll dich nach Hause holen, egal wie. Und das mache ich.«
    »Ich hab die Nase voll. Gestrichen voll!«
    »So tun, als könntest du dich plötzlich benehmen, ich hab gleich gewusst, dass das nicht lange so geht, Azime. Das war nur Verstellung.«
    »Wie kommst du dazu, mir zu sagen, wie ich mich benehmen soll? Du bist mein kleiner Bruder!«
    »Komm!« Er wollte sie am Arm packen, aber sie schüttelte ihn ab.
    »Weißt du, was du bist, Zeki? Ein verkorkster, verbitterter kleiner Junge, der kein eigenes Leben hat. Immer versuchst du die anderen runterzuziehen, damit es ihnen ja nicht bessergeht als dir. Ich komme nicht mit, ist das klar? In zwei Stunden bin ich wieder zu Hause.«
    »Kein Wunder, dass die Menschen dir weh tun wollen.«
    »Ja, das wollen sie wirklich. Und weißt du, warum? Weil ich selbständig denken kann. Solltest du auch mal versuchen, kleiner Bruder. Leb dein eigenes Leben – dann verstehst

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