Furor
war, hörte er ein leises Geräusch, das nicht von dem Killer stammte. Mato hatte offensichtlich das Handy an eine Box seiner Stereoanlage gehalten. Bachs ›Brandenburgisches Konzert in G-Dur‹schallte leise durch das Röhrensystem. Sebastian spannte unbewusst alle Muskeln. Der Killer würde gleich das Handy finden. Und dann würde er denken, sein Opfer hätte sich durch den unteren Gang davongemacht. Das musste er doch denken? Die Musik würde das Mikrofon des Killers so stören, dass der nicht mehr bestimmen konnte, wo sich sein Opfer befand.
Dann spürte er, wie die Kunststoffröhre zu zittern begann. Der Killer war auf dem Weg zu ihm.
Er benutzte kein Richtmikrofon. Er benutzte einen Wärmesensor.
Hobbes’ Aktion hatte eine Lawine ausgelöst. Er hatte schon lange nicht mehr so viele Polizeiwagen und Hubschrauber gleichzeitig gesehen. Die Bullen waren die Straßen in beide Richtungen abgefahren und durchkämmten die umliegenden Viertel. An jeder Ecke spuckten Mannschaftswagen behelmte, mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten aus.
Hobbes ließ den Karton, hinter dem er lag, wieder zurückgleiten, so dass sein Kopf vollständig verdeckt war. Sareah und er hatten zuerst versucht, in eines der Häuser zu gelangen, als die Polizeiwagen überall aufgetaucht waren. Aber die Türen waren alle abgeschlossen. Nicht eine war defekt, sie kamen nirgends hinein. Die übrigen Passanten hatten sich, als die ersten Blaulichter erschienen waren, schnell zurückgezogen. Wer hier wohnte, war verschwunden, wer nicht, begab sich vorsichtig in Richtung Polizei, in der Hoffnung, eine Kontrolle unbeschadet zu überstehen. Die Geschäfte hatten die Panzerglastüren dichtgemacht und die Stahlgitter vor den Fenstern herabgelassen. Wenn hier jetzt noch jemand herumlief und nicht wusste, wo er Deckung suchen konnte, so war er hochgradig gefährdet. Vorhin hatte Hobbes beobachtet, wie am anderen Ende der Straße ein junger Mann von einer Streife in dieMangel genommen worden war. Wahrscheinlich war der inzwischen auf dem Weg in ein Polizeirevier.
Sareah und er hatten es geschafft, Bogenhausens Nobelviertel zu verlassen. In der Gegend, in der sie sich jetzt aufhielten, wuchsen die Müllberge zwischen den Häusern und Innenhöfen schon seit Jahren. In einem dieser Haufen hatten sie sich vergraben. Eine Weile hatte Hobbes – wider besseres Wissen – gehofft, die Bullen würden ihre Suche verlagern. Aber er hatte mindestens zwei Beamte getötet. Da würden die Kollegen gründlich suchen.
Wieder hastete eine Gruppe von Polizisten im Laufschritt vorbei. Hobbes spürte, wie etwas in seinen Kragen lief. Angeekelt zog er eine halbleere Ketchup-Flasche von seiner Schulter und holte die Pistole aus der Jackentasche. In diesem Augenblick konnte er keine Verfolger in der Nähe sehen. Mit einem Knacken ließ er das Magazin aus der Waffe gleiten und schob das zweite hinein. Zwar hatte er erst eine Kugel gebraucht, aber vielleicht kam es ja schon bald auf jede einzelne an. Das angebrochene Magazin verstaute er in seiner Jacke. Mit der Pistole in der Hand wandte er sich an die blauen Müllsäcke zu seiner Linken.
»Pssssst . . .«
Sareahs Gesicht erschien.
Hobbes flüsterte, während er mit den Augen weiter das Geschehen auf der Straße verfolgte.
»Wenn ich gleich verschwinde, wartest du noch eine Weile und machst dich dann auf den Weg zum Institut, okay?«
»Wieso ›Wenn ich gleich verschwinde‹? Was soll das heißen?« Bevor sie weitersprechen konnte, fiel er ihr ins Wort:
»Wenn wir hier noch länger warten, dann sind wir bald beide dran. Wir müssen uns aufteilen, wenigstens einer muss es zu Sebastian schaffen. Mach du das, Sareah. Die Polizei ist auf der Suche nach einem Mann. Dich werden sie laufen lassen.«
Sareah machte keine Anstalten.
»Los, mach schon. Ich komme klar. Hab ja eine Waffe.« Dann fiel ihm ein, dass Sareah die Waffe unter Umständen genauso gut gebrauchen konnte. Wem war mit der Pistole mehr gedient?
Sein halbes Leben war er weggelaufen: vor der Polizei, den anderen Banden, die in seinem Revier gewildert hatten, Drogendealern, die er und seine Jungs beklaut hatten . . . Verdammt, er hätte jetzt wirklich gerne einen der Kumpel von damals dabeigehabt. Finger oder den Roten oder . . . Scheiße, warum träumte er hier von irgendwelchen Freunden, die vielleicht nicht einmal mehr lebten?
Er nahm das Magazin aus der Tasche.
»Du weißt, wie man damit umgeht?«, fragte er Sareah und hielt ihr Pistole und Magazin
Weitere Kostenlose Bücher