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Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
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seinem Lehnstuhl heraus an. Hoffentlich bekommt der keinen Schlaganfall, dachte Hobbes. Dann hatte er das Balkonzimmer erreicht und trat hinaus. Die Nachbarfassade schien jetzt deutlich näher. Hobbes kletterte auf die Brüstung, balancierte auf den Blumenkästen und drückte die Unterschenkel gegen das niedrige Geländer. Er ging in die Knie und spannte die Beinmuskeln an. Dann stieß er sich ab. Er flog hinüber und knallte gegen die Wand des gegenüberliegenden Balkons. Der Aufprall war hart und schmerzhaft. Aber er war schnell wieder auf den Beinen. Lief doch eigentlich ganz gut.
    Also begann er, die Balkone über sich zu erklimmen. Es ging schnell, und er hatte schon den vierten Balkon erreicht, als die ersten Polizisten auf dem Dach des ersten Hauses auftauchten. Von unten instruiert, entdeckten sie ihn schnell. Mit Sicherheit waren andere jetzt schon dabei, auch in dieses Haus einzudringen. Die Polizisten auf dem Dach unter ihm begannen, auf ihn zu schießen. Die Kugeln schlugen um ihn herum in die Fassade ein. Aber er war schon zu hoch, als dass sie von ihrer Position aus viel mehr von ihm sehen konnten als ab und zu seinen Hintern. Zwei Hubschrauber kreisten auf seiner Höhe, behinderten sich aber gegenseitig. Doch bevor die Schützen auf ihn zielen konnten, stiegen beide Maschinen wieder auf.
    Hinter einer Fensterfront sah Hobbes in ein erschrockenes Gesicht. Dann rasselte ein eisernes Rollo herunter. Von den Bewohnern des Hauses durfte er keine Hilfe erwarten. Die würden heilfroh sein, wenn die Bullen wieder weg wären, mit ihm oder ohne ihn.
    Nach einer elenden Kletterei erreichte er schließlich die oberste Plattform. Sie gehörte, wie er vermutet hatte, zu einem Penthouse. Hier schien niemand zu wohnen. Es lag überall Müll herum, leere Bierflaschen, Kondome, Plastiktüten, Pizzaverpackungen und Einwegspritzen. In der Ecke roch es scharf nach Urin. Die Wände waren mit Graffiti beschmiert. Einige Zeichen wiederholten sich ständig. Jetzt wusste er, dass die Geschichten stimmten, die er damals gehört hatte. Das hier war einer der Treffpunkte der Banden, die es überall in den Vierteln gab und von denen jede ein eigenes, eifersüchtig verteidigtes Revier besaß. Und eine der Banden, mit denen er damals zu tun gehabt hatte, war für ihren Schlupfwinkel berühmt gewesen.
    Hier hatten die Mitglieder sich mit persönlichen Signaturen verewigt, wie sie es auch an den Häuserwänden ihres Viertels taten. Hobbes konnte nicht alles lesen, was hier stand. Nureines war klar, die Jungs, die sich hier oben trafen, waren schon verdammt tief gesunken. Etwa die Hälfte der Signaturen war mit dem Rhombus versehen, der besagte, dass der Betreffende im Knast saß. Jetzt war keiner von ihnen mehr hier; beim Auftauchen der Polizei waren sie längst getürmt.
    Es musste also einen geheimen Fluchtweg geben.
    Die Glastür zur Wohnung stand offen. Ein zerrissener Vorhang wehte im Luftzug. Hinter der Tür war es dunkel. Hobbes ging vorsichtig hinein, gefasst darauf, dass ihn ein Empfang erwartete, wie ihn seine eigenen Kumpel früher ungebetenen Gästen bereitet hätten. Aber der Raum war leer. Er stieg über umgeworfene Sessel und über ein Holzbrett auf leeren Bierdosen. In der Ecke gammelte eine aufgerissene Matratze.
    Hobbes inspizierte rasch die Wohnung. Die Polizei würde bald hier sein. Er rückte die Überreste der Möbel von den Wänden, klopfte gegen die Tapete. Plötzlich sah er unter einem umgestürzten Regal zwei Beine herausragen. Er trat dagegen. Der Typ, der dort lag, zog ein Bein an und brummte vor sich hin. Hobbes packte ihn und zog. Der Junge war vielleicht elf. Er bekam die Augen kaum auf, schmale, schräge Schlitze. Hobbes packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. Er war stockbetrunken. Hobbes schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, bis er sich zu regen begann. Als er es endlich geschafft hatte, einen Blick in Hobbes’ Gesicht zu werfen, kam Leben in seine Glieder. Er begann zu strampeln und wild um sich zu schlagen. Hobbes hatte damit gerechnet. Er packte ihn und sprach auf ihn ein.
    »Ich tue dir nichts«, sagte er. »Hör mir zu. Die Bullen sind auf dem Weg hierher. Wenn die dich finden, bist du dran. Also mach dich weg.«
    Er ließ den Jungen nach Luft schnappen. Nachdem der wieder Atem geschöpft hatte, sah er sich mit umnebeltem Blick im Raum um und versuchte, sich zu orientieren.
    »Was ist los? Wo sind die anderen?«
    »Die haben die Bullen unten gesehen und sich aus dem Staub gemacht. Und das

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