Furor
Stimme ein gewisser Stolz mitschwang, und rief sich zur Ordnung: schließlich war das nicht sein Verdienst. »Die Informationen, die von den verschiedenen Regionen des Hirns gesendet werden, laufen durch eine Art Flaschenhals, bevor sie das Arbeitsgedächtnis erreichen: den Raab’schen Kanal«, erklärte Sebastian.
Er machte eine kurze Pause, um zu sehen, ob der Name bei ihr eine Reaktion hervorrief. Aber sie schien nur darauf zu warten, dass er weitersprach.
»Dieser Flaschenhals«, fuhr er fort, »sitzt genau in der Mitte des Stirnlappens, im so genannten Sulcus principalis, und man kann mit einigen Elektroden ein vierdimensionales Bild der elektrischen Impulse aufnehmen. Ein dreidimensionales Muster über die Zeit. Wenn das Gedächtnis aktiviert wird und ein Erinnerungsfilm abläuft, dann können wir ein SP-Muster, ein Sulcus-principalis-Muster, ableiten. Und in unserem Großrechner speichern. Wir nennen das einen Memo-Scan.«
»Und wer lässt sich Elektroden in seinen Sulcus jagen?« fragte Sareah.
»Zuerst waren die Versuchspersonen vor allem Menschen mit Schädelverletzungen, meist Motorradfahrer. Dann gibt es immer wieder Patienten mit Hirnblutungen und Tumoren, die operiert werden müssen. Bei diesen Operationen wurden die ersten Versuche nebenbei gemacht – mit dem Einverständnis der Patienten natürlich. Doch die abgeleiteten Muster waren völlig chaotisch. Heute wird nur noch an Leichen gearbeitet. Wir stimulieren bei ihnen verschiedene Regionen der Großhirnrinde, von denen wir annehmen, dass sie zum Assoziationscortex gehören, und leiten gleichzeitig mit Elektroden die Aktivitätsmuster vom Sulcus principalis ab.«
»Leichen?« Die Journalistin schien erstaunt.
»Ja. In vielen Studien werden Leichen verwendet. Es gibt eine Menge Leute, die ihren Körper der Wissenschaft vermachen. Medizinstudenten können an ihnen Operationen üben, oder sie dienen dem Institut für Forschungszwecke.«
»Und wie bekommt ihr die gespeicherten Erinnerungen wieder in ein lebendes Hirn zurück?«, fragte sie.
»Dafür gibt es besondere Elektroden, die nicht mehr ins Gehirn selbst eingeführt werden müssen. Sie geben keine Stromimpulseab, sondern bauen um den Kopf herum Magnetfelder auf. An bestimmten Stellen, die man flexibel einstellen kann, lassen sich dadurch Hirnströme gezielt stören und auslösen. Ich gehe hier nicht ins Detail, okay? Das wird ziemlich technisch.«
Sareah nickte.
»Also, die gespeicherten SP-Aktivitätsmuster werden nun über solche Magnetfelder auf den Flaschenhals eines Gedächtnis-Empfängers übertragen. Man klinkt sich zwischen die Orte der Erinnerung des Empfängers und seinem Arbeitsgedächtnis ein. Und tatsächlich kommen im Arbeitsgedächtnis elektrische Ströme an, die ungefähr das gleiche Muster bilden wie im Arbeitsgedächtnis des Toten, wenn der sich selbst zu Lebzeiten an etwas erinnert hätte. Die Bilder sind oft verschwommen. Das Gehirn ist bei jedem Menschen etwas anders aufgebaut, deshalb funktioniert nicht jede Übertragung. Insgesamt klappt es aber oft genug, um damit zu arbeiten.«
Wieder schlug Sareah mit der flachen Hand auf den Tisch. Diese Angewohnheit irritierte Sebastian ein wenig. Vielleicht war ja auch genau das die Absicht?
»Also«, sagte sie. »Was genau treibt ihr denn nun eigentlich? Bisher hört man von euer Arbeit in der Öffentlichkeit nur wenig.«
»Das liegt aber nicht daran, dass wir uns verstecken«, erwiderte Sebastian. »Das Interesse der Öffentlichkeit ist einfach nicht besonders groß. Die Hirnforschung war immer eine Angelegenheit, die fast nur Hirnforscher beschäftigt hat und vielleicht noch eine Hand voll Psychologen und Philosophen auf der Suche nach dem Geist in der Maschine. Und das hat sich bis heute kaum geändert.«
Er sah ihr jetzt direkt in die Augen und bemühte sich um einen eindringlichen Blick. »Du hattest ja von Penfield bisher auch noch nichts gehört. Kennst du dieses Männlein mitdicken Lippen und großer Zunge, das manchmal gezeigt wird, wenn es darum geht, wie unterschiedlich sensibel unsere Körperteile sind?«
Sareah nickte.
»Es stellt dar, wie stark unsere Körperteile im Gehirn repräsentiert werden. Je empfindlicher ein Körperteil, desto größer der Hirnbereich, der dafür zur Verfügung steht. Dieser Homunkulus geht auf Penfield zurück.«
Sareah nickte nachdenklich. »Und was ist nun der Sinn dieser ganzen Gedächtnis-Speicherung? Wozu dient das, was ihr hier macht?«
»Zuallererst ist es natürlich
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