Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Furor

Furor

Titel: Furor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus C. Schulte von Drach
Vom Netzwerk:
Bereiche begannen die Patientenjedenfalls plötzlich zu erzählen, dass sie Ereignisse aus ihrer Vergangenheit wiedererlebten. Es waren oft Erinnerungen, die plötzlich auftauchten und die die Patienten vergessen hatten. Über diese so genannten Traumzustände schreibt Penfield: ›Es war, als würde ein vergangener Strom von Bewusstsein während dieser elektrischen Stimulation wiedergewonnen‹. Die Patienten selbst hatten nicht das Gefühl, einen Film über die Vergangenheit zu sehen. Für sie war das die Gegenwart. Sie waren zwar im Operationssaal und wussten das, aber zugleich waren sie beispielsweise zu Hause in ihrem Garten.«
    Mit einer gewissen Genugtuung stellte er fest, wie konzentriert Sareah auf die Abbildungen schaute. Es schien sie wirklich zu interessieren. Während er weitersprach, fand er den Mut, für länger als zwei Sekunden in ihre Augen zu sehen. Sie waren eher braun als grün.
    »Die Erinnerungen kamen vor allem dann hoch, wenn im so genannten Assoziationscortex gereizt wurde«, fuhr er fort.
    »Also mussten die Erinnerungen in der Großhirnrinde sitzen. Allzeit abrufbereit.« Sie stellte keine Frage, es war eine Feststellung.
    »So ungefähr. Man muss allerdings zwischen dem Kurz- und dem Langzeitgedächtnis unterscheiden. Bis jetzt haben wir vom Langzeitgedächtnis gesprochen. Inzwischen können wir am Institut aber auch im Hippocampus stimulieren. Das ist der Hirnteil, in dem, vereinfacht gesagt, das Kurzzeitgedächtnis sitzt. Von hier aus werden dann wichtige Erinnerungen auf die Bereiche im Großhirn übertragen, wo sie langfristig gespeichert werden.«
    »Und wo taucht eine Erinnerung nun eigentlich auf?«, fragte Sareah.
    »Man müsste wohl eher fragen: Wo und wie setzt sie sich zusammen? Ein Bild aus der Vergangenheit ist nicht als Einheit gespeichert, sondern beruht auf einem Komplex von Informationen.Um das zu verstehen, muss man sich klar machen, wie unsere Wahrnehmung funktioniert.«
    Er merkte, dass er sich am Kinn herumzupfte. Das sah vermutlich ziemlich dämlich aus, dachte er und riss die Hand herunter. Er konzentrierte sich und sprach weiter.
    »Wenn wir etwas sehen, bedeutet das, die Lichtrezeptoren in der Netzhaut unseres Auges werden gereizt. Dadurch werden Nervenzellen aktiviert, die elektrische Signale in unser Gehirn weiterleiten. Unsere ganze Wahrnehmung besteht aus Millionen Stromimpulsen im Millivoltbereich: den Cajal’schen ›Flügelschlägen der rätselhaften Schmetterlinge der Seele‹.«
    »Den was?«, fragte die Journalistin.
    »Den ›Schmetterlingen der Seele‹. Ein Ausdruck von Santiago Ramon y Cajal, dem Begründer der modernen Neurowissenschaften. Hat Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts den Nobelpreis bekommen. Ich mag den Ausdruck. Egal. Von unseren Augen werden die Nervenimpulse in unseren Hinterkopf weitergeleitet, zur so genannten Sehrinde des Gehirns, und von dort weiter zu Bereichen der Großhirnrinde, die auf ganz unterschiedliche Aufgaben spezialisiert sind. Es gibt zum Beispiel Gebiete, wo die Wellenlängen des Lichtes, also die Farbe von Objekten, identifiziert wird. Andere Hirnregionen verarbeiten horizontale oder vertikale Strukturen und lassen uns so die Form eines Gegenstandes erkennen. Und dann gibt es wieder Stellen auf der Großhirnrinde, die darauf spezialisiert sind, Bewegungen zu erkennen.«
    Während er sprach, hatte Sebastian der Journalistin immer wieder forschend ins Gesicht geschaut. Noch lauschte sie aufmerksam.
    »Welcher Bereich des Gehirns wozu dient, stellt man vor allem dann fest, wenn er beschädigt ist. Da gibt es beispielsweise eine Region im Schläfenlappen des Gehirns . . .«, er machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Kaffee, ». . . jedenfalls gibt esdort Zellen, die nur auf ganz bestimmte Dinge reagieren, etwa auf Gesichter. Wenn das Gehirn dort beschädigt ist, dann kann es zur so genannten Prosopagnosis kommen – der Unfähigkeit, Gesichter zu erkennen.«
    »Klingt seltsam. Ich sehe also jemanden und erkenne nicht, dass da ein Gesicht zwischen den Ohren sitzt?«
    »Genau. Wobei diese Zellen allerdings nicht nur für das Erkennen von Gesichtern gebraucht werden. Sie dienen grundsätzlich dazu, ähnliche Objekte auseinander zu halten, die für uns eine wichtige Rolle spielen. Neben Gesichtern können das bei einem Autofan auch die verschiedenen Automobil-Marken sein oder Vogelarten bei Ornithologen. Aber bleiben wir bei Gesichtern. Ein Gesicht wird nicht einfach als Ganzes abgespeichert. Nehmen wir zum Beispiel

Weitere Kostenlose Bücher